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„Wo ist der Fisch, der Fisch, ja wo?“

■ Um ihren Sprit zahlen zu können, müssen russische Fischer ins Ausland verkaufen / Fangmoratorium zwecklos: Es wird geräubert, was das Netz hält

Was wäre der sowjetische Alltag ohne Hering mit Pellkartoffeln gewesen? Ohne die runden Sprotten-Dosen, die sich gegen Winterende in den Fenstern sämtlicher Lebensmittelgeschäfte zu kunstvollen Pyramiden türmten? Ohne Buffets, die sich bei offiziellen Empfängen vor Lachs und Kaviar bogen? Und dann, 1989, im vierten Jahr der Perestroika, als die Waren von den Ladentischen verschwanden, da tauchte zuerst und am nachhaltigsten der Fisch unter. In jenem Jahr schrieb der Kabarettist Michail Schwanetzki seinen Sketch: „Wo ist der Fisch, der Fisch, ja wo?“ und fragte weiter: „Muß der Fischer jetzt alles selbst aufessen, was er gefangen hat, darf er es mit niemandem teilen?“

Mit der Freigabe der Preise wurden auch wieder Fische in die Geschäfte geschwemmt. Obwohl die grob zerhackten Blöcke aus Tiefkühlfilet aussehen wie schon mal gegessen – es mundet allen, die zahlen können.

Gibt es wieder so viel Fisch in Rußland wie früher? Die Statistik widerlegt diese Annahme. „Früher produzierten wir gut zwanzig Kilo verzehrfertige Ware pro Kopf, dieses Jahr werden es maximal noch neun Kilo sein“, sagt der Vorsitzende des Russischen Fischfang-Komitees, Wladimir Korelski.

Daß der Fang zum Großteil im Ausland verkauft wird, erklärt er so: „Jedesmal wenn unsere Trawler und Kutter in See stechen, liegt der Treibstoffpreis höher als das Mal zuvor. Wovon sollen unsere Fischer das zahlen? Der Fisch ist ja noch im Wasser. Also verschulden sie sich mit hohen Krediten, die sie im Inland kaum wieder hereinwirtschaften können.“ Kredite in Höhe von 800 Milliarden Rubel aus dem vergangenen Jahr sind noch nicht zurückgezahlt.

An einer gezielten Steuer- und Subventionspolitik des Staates fehlt es in Rußland vorerst. Und viele Investitionen aus dem letzten Jahrzehnt wurden in geographischen Regionen vorgenommen, die heute schon zum Ausland zählen. Die neuesten Fangschiffe gehören jetzt der Ukraine; in Klaipeda, Litauen, steht die modernste Reparaturwerft.

Zu allem Überfluß beginnen jetzt auch Länder, die keineswegs zu den Nachbarn zählen, den russischen Fischen den Garaus zu machen. Über den zentralen Teil des Ochotskischen Meeres hat der Oberste Sowjet der Russischen Föderation ein Fischfang-Moratorium verhängt. In dieser von drei Seiten von russischem Festland oder russischen Inseln umgebenen Riesenbucht fischen jetzt aber polnische, südkoreanische, chinesische, panamaische, bulgarische und ukrainische Schiffe die jungen Heringe, Lachse und Schollen weg, beklagt die Moscow News.

Der russischen Küstenwacht fehlt es zur Verteidigung ihrer Gewässer natürlich an Benzin. Zu verteidigen wären gewiß noch andere Meeresgründe, auch gegen einheimische Räuber. Denn die Baby-Kabeljaus und Baby-Schellfische – nicht größer als ein Hering –, die sich meine Katzen neuerdings munden lassen, stammen weder aus Polen noch aus Panama. Barbara Kerneck/Moskau

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