: Wahl in blühender Erziehungsdiktatur
■ Die Regierungspartei Singapurs läßt wählen: Ong Teng Cheong soll Staatschef werden
Berlin (taz) – Singapur – Stadtstaat, vor dem südlichen Zipfel der Halbinsel Malaya gelegen, blühende Insel mit 3,2 Mio. überwiegend wohlerzogenen EinwohnerInnen, Symbol eines erfolgreichen kapitalistischen Modernisierungsweges ohne westlich-demokratische Umstände – erlebt heute eine Premiere: Die Bevölkerung darf zum ersten Mal seit der Staatsgründung 1965 ihr Oberhaupt wählen. Nach einem überaus „höflichen“ Wahlkampf steht der Sieger so gut wie fest. Es ist der 57jährige Ex- Vizepremier Ong Teng Cheong.
Als Gegenkandidat Ongs, der in diesem Monat von seinem Regierungsamt und als Chef der regierungsnahen Gewerkschaftsunion zurückgetreten war, hatte sich der Ex-Banker i. R. Chua Kim Yeow zur Verfügung gestellt. Chua, der erklärt haben soll, Ong sei „ein weitaus besserer Kandidat“, ließ sich von der Regierung allerdings nur zur Aufstellung überreden, weil alle anderen Kandidaten von der Wahlkommission abgelehnt worden waren. Dazu zählte auch der Oppositionelle J. B. Jeyaretnam, der 1981 zum ersten Mal das Monopol der herrschenden „People's Action Party“ (PAP) gebrochen hatte und ins Parlament eingezogen war. 1986 wurde er aufgrund einer politisch motivierten Anschuldigung wegen „Unterschlagung“ verurteilt, und daher gilt er nicht als „integer“.
Die PAP, die in Singapur seit 1965 regiert und im Parlament über 77 von 81 Sitzen verfügt, hatte festgelegt, daß nur Personen von „höchster Integrität, gutem Charakter und guter Reputation“ nominiert werden durften. Dazu zählte sie ehemalige Kabinettsmitglieder, hohe Regierungsbeamte oder Manager von Firmen, die über mehr als 100 Millionen Singapur-Dollar eingezahltes Eigenkapital (62,5 Millionen US-Dollar) verfügen. Nach Ansicht von Premier Goh Chok Tong treffen diese Bedingungen auf etwa 400 Singapurer zu.
Der Posten eines direkt gewählten Präsidenten wurde 1991 neu geschaffen, ein Jahr nachdem der 31 Jahre lang amtierende Premierminister Lee Kuan Yew zurückgetreten war. Wichtigste Funktion des Staatschefs soll die Überwachung der Regierung sein. Er soll verhindern, daß sie durch leichtfertiges Nachgeben gegenüber verschiedenen gesellschaftlichen Interessengruppen die staatlichen Finanzreserven von etwa 46 Milliarden US-Dollar verschwendet. Er hat weitgehende Vetorechte in den Bereichen Wirtschaftspolitik, Nationale Sicherheit und bei der Besetzung von wichtigen Posten. Damit schien das Amt auf Lee – der immer noch als graue Eminenz über Singapurs Politik wacht und nicht müde wird, auch anderen Staaten der Region von westlichen Demokratievorstellungen abzuraten, die seiner Ansicht nach nur zu Korruption und Chaos führen – persönlich zugeschnitten zu sein. Doch der zog es vor, zunächst im Hintergrund zu bleiben. Jutta Lietsch
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