Die Fahradkuriere zelebrieren an diesem Wochenende in Berlin die Weltmeisterschaften und trommeln dabei für ihr Gewerbe / Das Geschäft boomt: vom geheimen Dokument bis zum Arzneimittel, von der Diskette bis zum Film – alles bringen sie bei schnellstmöglich an Ort und Stelle Von Manfred Kriener

Die wahren Helden der Metropolen

Die Idee entstand in einer Leipziger Kneipe. Achim Beyer und Stefan Kleßmann vom Berliner Kurierdienst „Messenger“ hörten dort zum ersten Mal von einem geplanten Wettkampf der Fahrradkuriere, der in Halle stattfinden sollte. Ihre Reaktion: „Wenn schon, dann richtig – und in Berlin.“ So mutierte das Lokalereignis von Sachsen-Anhalt zur ersten veritablen Weltmeisterschaft der Fahrradkuriere in Berlin. 380 Teilnehmer aus 16 Ländern treffen sich an diesem Wochenende, um ihre Besten zu ermitteln. Sie kommen aus Schweden und Dänemark, aus USA und Kanada, aus Spanien und Großbritannien, aber auch aus Rußland und der Ukraine. Und es geht längst nicht mehr allein um den Sport. Selbstbewußt präsentiert sich eine neue Branche, die in großem Tempo expandiert und die zu einem echten Wirtschaftsfaktor geworden ist. „Wir wollen endlich raus aus der alternativen Ecke“, sagt WM-Organisator Stefan Kleßmann.

Egal ob alternativ oder etabliert, die Fahrradkuriere radeln auf einer erstaunlichen Sympathiewelle. Da lobt die Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) die Profi-Biker als „Vertreter einer modernen dynamischen Gesellschaft, die in positiver Weise die Jugendkultur der Metropolen verkörpern“. Ohne die rasenden Radler, glaubt sie, laufe nichts mehr in den Dienstleistungszentren der Großstädte. Auch der Berliner Wirtschaftssenator Norbert Meichsner (SPD) bescheinigt der Dienstleistungsbranche „Cleverneß, Charme und Witz“. Sie habe ein echtes Lehrbeispiel für die Besetzung einer Marktnische geliefert. Und das Münchner Bunte-Bilder-Blatt Focus strickt den Mythos von den „extremen Individualisten, Existentialisten der High-Tech-Ära“, die mit viel Lust an der eigenen Power „im Rausch der Endorphine“ einsam über den Asphalt heizen. Keine Frage: Die Fahrradkuriere sind everybody's Darling. Doch die Massenbewegung der Kuriere ist keine freiwillig gewählte, intelligente Verkleinerung des Verkehrs, die längst notwendig wäre. Sie ist aus der Not, weil aus dem Stau geboren, und sie ist Ausdruck des unpassierbaren Molochs der Metropolen, in der die Biker als Botengänger der Moderne mit Sturzhelm und Kohlenstoff-Filter vor dem Mund durch die Straßenschluchten eilen. Immerhin: So läßt sich unter einvernehmlichem Jubel über die Fahrradkuriere auch den verstopften, lärmenden, stinkenden Zentren unserer Großstädte noch eine positive Seite abgewinnen. Sie sind die neuen Helden (siehe Kasten).

Und tatsächlich sind die Fahrradkuriere flinke, in der Regel verläßliche und umweltfreundliche Transporteure. „Schneller läßt sich die Umwelt nicht schonen“, wirbt die Branche zeitgemäß für ihre Dienste. Und die werden immer häufiger in Anspruch genommen. Egal ob das Gebiß vom Zahntechniker in die Praxis muß, das Dokument vom Anwalt zur Treuhandanstalt, die rote Rose zur Liebsten (neuerdings besonders beliebt) oder auch mal ein ausgestopfter Vogel vom Präparator zum Kunden: Die Biker werden in Trab gesetzt.

Mit Schokoriegel und Radlerhose, Funkgerät und Gummitasche geht's im Sauseschritt über rote Ampeln und verstopfte Pisten auf direktem Weg ans Ziel. Wenn allerdings der Pudel zum Hundedoktor muß, dann, so die Erfahrungen der Kurier-Zentrale, nehmen die Kunden doch lieber ein Auto. Mehr als 50 Kurierdienste radeln täglich bundesweit durch die Straßen. 200 Fahrer sind allein bei Messenger, dem größten von vier Berliner Diensten, eingetragen, 120 davon sind täglich mit dem Rad unterwegs. Im vergangenen Jahr haben sie einen Umsatz von drei Millionen Mark zusammengestrampelt.

Spitzenkräfte, verrät uns Messenger-Biker Ernesto, schaffen im Monat ein Einkommen von bis zu 7.000 Mark, „dann bist Du aber täglich von acht bis abends um sechs auf der Straße“. Um die 3.000 Mark (brutto) verdienen Radler mit Normalpensum. Als Subunternehmer müssen sie sich allerdings selbst versichern und versteuern. Die täglich absolvierte Strecke liegt im Schnitt bei 100 Kilometern, „nach hundertfünfzig kannst du prima schlafen“, sagt Spaßguerillero Fritz Teufel, der heute bei „Moskito“ fährt und mit 50 Jahren zu den Ältesten seiner Zunft gehört.

Die meisten sind um die 20, oft genug passionierte Biker auf dem Fitneßtrip. Und die meisten sind Männer. Katharina (26) ist eine der wenigen Frauen, die im Weltmeisterschafts–„Fahrerlager“ auftauchen. Sie „fährt tierisch drauf ab, rasant Fahrrad zu fahren“ und hat deshalb im letzten Jahr als Botin angefangen. „Du bewegst dich, du verdienst Geld, und es macht Spaß.“ Auf lange Sicht sieht Katharina per Pedale aber keine Perspektive. Nächstes Jahr hört sie auf und geht in die Heilpraktiker- Schule. Beides zusammen funktioniert nicht: „Wenn du fährst, kriegst du nichts anderes auf die Reihe.“

Im Fahrerlager werden inzwischen die Räder bewundert. 5.000 Mark für ein Bike sind keine Seltenheit. Und ständig werden von den Tekkno-Kids neue Teile dazugekauft. Auch Klamotten sind wichtig, das Styling muß stimmen. Neben der möglichst grellen Radlerhose gehören die schrillen Brillen und bunten Kopfbedeckungen zum Standardrepertoire. Ein New- Yorker Fahrer hat mit seinem goldbronzierten Helm gute Aussichten, den Sonderpreis der Weltmeisterschaft für das ungewöhnlichste Outfit zu gewinnen.

Die Schattenseiten der Kurierdienste blitzen bei dem Weltmeister-Rummel nur am Rande durch. Während Nachrichtenmagazine und andere Medien schon von einer neuen Subkultur schwärmen, die das „anarchistische Moment der Surf-Hippies mit dem Ego- und Fitneßtrip kombiniert“, sind in der Begleitausstellung zur Weltmeisterschaft vereinzelt auch leisere Töne zu hören. Der harte Job, oft genug auch bei eisiger Kälte und strömendem Regen, bei Glatteis und Hitze, ist kein Dauervergnügen: „Die jahrelange Arbeit bei 100 bis 130 gefahrenen Kilometern pro Tag zeigt auch bei austrainierten Fahrern Wirkung. Knie und Sehnen werden dann zunehmend anfällig und halten den Belastungen nicht mehr stand.“ Zudem: In vielen Ländern, heißt es selbstkritisch, leben die Kuriere am Rand des Existenzminimums, nur wenige seien gegen Unfälle und Invalidität ausreichend abgesichert. Und die Unfallrisiken sind groß. Messenger mußte zwar bis heute noch keinen lebensgefährlichen Crash verzeichnen, aber im Schnitt passiert jede Woche ein Unfall, schätzt Ernesto.

Trotz allem: Das Gewerbe boomt, und die Kuriere rasen. Auch dieser Text – wir wollen es nicht verschweigen – wurde von einem Fahrradkurier vom Journalistenbüro „Contrapunkt“ zur taz befördert. Pünktlich, während die Kollegin im Nachbarzimmer unter heftigem Protest des Autors irgend was von „Mantafahrern unter den Radfahrern“ nuschelte ...