■ Kolumne: D. und P. in „Die alten 82er“
von Detlef Diederichsen
Mein lieber Pezke,
da wir gestern so rüde unterbrochen wurden, möchte ich Dir nochmal schnell auf diesem Weg darlegen, was ich mit „dem Problem der alten 82er“ meine. Ich hatte Dir gesagt, daß ich es gut finde, daß sich Dein Chef jetzt auch als alter 82er geoutet hat. Was gab er doch gleich als Eckpfeiler seines Wertesystems an? „ABCs Lexikon of Love, Scritti Politti und Diedrich Diederichsens Sexbeat. Du bemerktest, daß man dagegen doch wenig sagen könne. Ich widersprach, doch konnte meinen Widerspruch nicht mehr artikulieren, weil...
Gefreut über das Bekenntnis Deines Chefs habe ich mich, weil ich neulich erst unserer gemeinsamen Freundin Seilski erzählt habe, daß ohne meines Bruders Früh-80er-Poptheorien die Welt heute anders aussähe. Daß aber eine Menge Leute leider '82 auf der Strecke geblieben sind. Das heißt, daß sich ihr heutiges Weltbild immer noch auf 1982 bezieht. Was sie natürlich nicht merken. So kam es zu jenen an Irrsinn grenzenden Sackgassen des Denkens, wie wir sie zum Beispiel bei Markus Peichl, Maxim Biller, Olaf Dante Marx, Clemens Grün und eben Deinem Chef finden. Dabei war der '82er Popismus noch nicht mal ein wirkliches Wertesystem, sondern lediglich eine flüchtig-strategische Zwischenstation. Ein Hilfskonstrukt, um die Dinge aus einer Schieflage zu befreien, in die sie in den 70ern geraten waren. Denk mal zurück an '82: die Feinde waren damals die Sozialdemokratie, das Liberale beziehungsweise die allumfassende Toleranz als Mehrzweckwaffe, der Rockismus, ewige Hippies undsoweiter. Alles Dinge, die heutzutage einen gewissen Charme haben. Damals aber verpesteten sie das Denken, und man legte sich einen schicken Stalinismus als Universalschlüssel zu, war absichtlich unnachsichtig und intolerant und schickte Stil, Glamour und eine allgemeine Überbetonung der Verpackung und des Äußeren gegen deren totale Negierung in den vorherrschenden Werteesystemen der 70er ins Feld. Schnell hatte man damit Erfolg. Schon '83 war die Situation eine völlig andere, hießen die Feinde ganz anders. Ein Maxim Biller hält aber immer noch die demonstrative Intoleranz, die ja nun wirklich der einzige Inhalt, die einzige Idee seiner „100 Zeilen Haß“-Kolumnen ist, für schick und witzig. Dein Chef glaubt gar, die 18jährigen von 1993 würden das Lexikon of Love schätzen, wobei sie es wahrscheinlich nicht mal kennen.
Mir war das übrigens alles schon damals nie so recht geheuer. Nicht nur weil ich schon immer Popsongs geliebt habe, und der Meinung war, daß Lexicon of Love eine bestenfalls mittelmäßige Pop-Platte war. Nein, vor allem, weil ich fand und immer noch finde, daß Musik nicht zu strategischen Zwecken mißbraucht werden darf. Wahrheit soll sich über ihren Wahrheitsgehalt durchsetzen und sonst nichts. Eine nur aus strategischen Gründen formulierte These birgt immer die Gefahr, daß sie von vielen nicht als strategisch identifiziert wird. Und wie das Schlamassel mit Peichl, Biller, Deinem Chef und Co. beweist, hatte ich recht. Wie immer.
Soweit mein Lieber. Wir sehen uns bei Juliana Hatfield. (Kommst Du hinterher mit zu Sonjas Geburtstagsparty?)
Dein Dezke
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