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„Ich wollte Ruhe haben“

■ Rumänin wegen Urkundenfälschung vor Gericht

„Gestern hätten Sie da sein sollen.“ Die Dolmetscherin, die im Flur wartet, hat in letzter Zeit häufiger mit Menschen zu tun, die sich vor Gericht verantworten müssen, weil sie unter falschen Namen Asyl beantragt haben. „Die denken eben, es ist die einzige Möglichkeit hier zu bleiben.“

Zu zwei Jahren ohne Bewährung hatte Amtsrichter Nils Graue eine Mutter von vier Kindern verurteilt, die es acht Mal versucht hatte. Eine harte Strafe. Die junge Richterin in Saal 192 scheint milder gestimmt. Der Fall wird mit dem Staatsanwalt kurz durchgesprochen, weil es so lange dauert, bis die Angeklagte C. aus dem nebenliegenden UG herbeigeführt wird. Dann geht alles ganz schnell. Die junge Frau trägt eine blaue Bluse und eine schlackernde Baumwollhose, aus den kurzen brauenen Haaren ist der Schnitt herausgewachsen. 75 Tage U-Haft, in der sie ihren Ehemann nicht gesehen hat, der hier vor zwei Wochen zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde.

Der Staatsanwalt rattert die Anklage runter: 25. 11. Rostock, 15.12. Oldenburg, 11.1. Hamburg, 26.1. Itzehoe... viermal hatte die 22jährige Rumänin einen Asylantrag unter falschem Namen gestellt. Warum, will die Richterin wissen. „Das haben uns andere Rumänen gelehrt“, übersetzt die Dolmetscherin der leise gesprochenen Worte. „Ich konnte in Rostock nicht bleiben“. Sie und ihr Mann hätten in dem Durchgangslager keine Ruhe gehabt. „Immer nur besoffene Punks und Zigeuner um uns rum. Ich hatte Angst. Man konnte nicht mal zur Toilette gehen.“ Die Angeklagte beginnt zu weinen. Dann sprudelt es aus ihr heraus: „Wir waren immer nur in Durchgangslagern.“. Die Zigeuer hätten Pistolen gehabt.

Richterin: „Und dann sind Sie also nach Oldenburg gewechselt. Warum wollten Sie dort wieder weg?“. Die Angeklagte: „Von dort wurden wir nach Nienburg verlegt. Da war es noch gefährlicher:Zigeuner aus der Moldau-Region.“Sie hätten darauf einen Antrag in Hamburg gestellt. Aber von dort sollten sie nach Chemnitz verlegt werden: „Wir wissen, daß es dort nocht schlimmer ist“. Ende Januar schließlich, als sie in Itzehoe den Antrag stellten, hatte das junge Ehepaar ein eignes Zimmer in einer Pension zugewiesen bekommen. „Ich schwöre Ihnen, daß ich nach Rumänien zurückkehre“, beendet die Frau ihr Geständnis: „Ich bleibe nicht mehr in Deutschland.“ Sie sei hergekommen, weil ihr Mann in ihrem Heimatort Probleme mit dem Bürgermeister hatte, „aber hier ist es noch viel schlimmer.“ Die Richterin: „Hatten Sie von Anfang an vor, so viele Asylanträge zu stellen?“ Die Angeklagte: „Nein.“„Warum haben Sie es dann getan?“

„Ich wollte irgendwo Ruhe haben.“C. wird wegen „Urkundenfälschung in Tateinheit mit mittelbarer Falschbeurkundung zu acht Monaten auf Bewährung“ verurteilt. Mit schwungvoller Unterschrift unterzeichnet die Richterin den Freilassungsbefehl kaj

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