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Ungeahnte Kreuzfahrt- Freuden

Eine Fahrt auf dem ausrangierten Kohlenschlepper im Dortmunder Hafen  ■ Von Thomas Rosner

Der Mann ist das Mädchen für alles. Gerade noch hat er den Passagieren die Billetts überreicht. Dann ist er in den Maschinenraum entschwunden, um den Motor anzuwerfen. Und nun übt sich Käpt'n Theodor Fuest gar als Fremdenführer, während er die „Santa Monika“ durch die herbe Kulisse des Dortmunder Hafens steuert: „Früher wurden von hier aus täglich 20.000 Tonnen Kohle verschifft. Aber das ist leider Vergangenheit. Jetzt wird sogar Koks hergeholt.“

Immerhin muß der Siebzigjährige nun nicht mehr so oft den Kohlenstaub von seinem zum Ausflugsschiff umgebauten Schlepper schrubben. Denn das Wasser, das in den wie ausgestorben wirkenden Hafenbecken dümpelt, ist erstaunlich sauber. Flüsse fließen nicht durch Dortmund, aber dank des Dortmund-Ems-Kanals verfügt die ehemalige Hansestadt über den größten Kanal-Hafen Europas. An den mächtigen Tanks im Petroleumhafen vorbei schippert die Santa Monika nun gemächlich gen Norden: zum Schiffshebewerk Henrichenburg in Waltrop.

Von Stahlspunden umfriedet und Pappeln umsäumt zieht sich der Kanal schnurstracks durch Kohlehalden, über Bergsenkungen und Wiesen hinweg. „Das Traumschiff, das sich jeder leisten kann“ – der markige Werbespruch der Santa Monika verspricht nicht zuviel: Die Reisenden auf dem „Sonnendeck“ glauben zu schweben, während die knapp fünf Meter unter dem Kanalbett liegenden Felder an ihnen vorbeigleiten. Mit kräftigen Schlägen überholen vier Ruderer das behäbig dahintuckernde Ausflugsboot. „Man kann bei dieser Geschwindigkeit alles viel gemütlicher beobachten“, erklärt aus scheppernden Lautsprechern Kapitän Fuest, der der rudernden Konkurrenz ihre Geschwindigkeit nicht neidet. „Auch der Gold-Achter hält sich hier für zukünftige Erfolge fit.“

Nur selten zieht ein Frachtschiff an Backbord vorbei: Die Tage, als der Dortmund-Ems-Kanal zu einer der wichtigsten Wasserstraßen der Republik zählte, liegen lange zurück. Am Horizont tauchen die beiden Türme des alten Schiffshebewerks auf. Knapp zwei Stunden Landgang am Dattelner Meer gewährt der Kapitän – ausreichend Gelegenheit, die alten und neuen Wunderwerke der Schiffahrtstechnik etwas genauer zu inspizieren.

Als Kaiser Wilhelm 1899 das Schiffshebewerk Henrichenburg einweihte, galt es als eines der modernsten seiner Zeit. Da der Dortmund-Ems-Kanal über keine nenneswerten Zuflüsse verfügt, hatten die Ingenieure von einer Schleusentreppe zur Überwindung des Höhenunterschieds von 14 Metern abgesehen: Damals war die Pumpentechnik kaum instande, das bei Schleusen abfließende Wasser wieder vom Unter- ins Oberbett zu leiten. Statt dessen enwickelten sie eine Art „Wasserfahrstuhl“. Unter dem mit Wasser gefüllten „Schiffstrog“ sind luftgefüllte Hohlzylinder angebracht, die in tiefen Brunnenschächten schwimmen. Wurde der Trog auch nur um eine geringfügige Wassermenge erleichtert, ließen die Auftriebskräfte die Zylinder nach oben steigen: Das im Trog schwimmende Boot wurde so ohne großen Energieaufwand nach oben gehievt.

1962 wurde das schmucke Hebewerk stillgelegt und ist seit dem vergangenen Jahr Außenstelle des Westfälischen Industriemuseums: Die Besucher können dort nicht nur durch die imposante Stahlkonstruktion des Hebewerks kraxeln, sondern erhalten an Bord des beim Hebewerk vertäuten Frachters „Franz-Christian“ Einblick in den Alltag der Binnenschiffer: Eine Ausstellung im Frachtraum des 1929 erbauten Schiffes schildert ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen.

Das benachbarte Bauwerk ist nicht minder beeindruckend und inzwischen auch außer Betrieb: Durch eine 1917 aus schweren Sandsteinquadern errichtete „Schachtschleuse“ wandeln die Tagesausflügler nun trockenen Fußes zum Unterbett. Die tiefer und größer gewordenen Schiffe werden seit 1962 von einem neuen Hebewerk aufgenommen. Auf Drängen von Hoesch wurde 1988 für einen dreistelligen Millionenbetrag gar eine zusätzliche Schleuse fertiggestellt. Auch wenn der Dortmunder Stahlriese zum Entsetzen der Stadtväter den Erztransport dann doch auf die Schiene verlegte und die Schleuse heute nur spärlich frequentiert wird, können sich zumindest die Besucher des naheliegenden Schleusenmuseums an deren Dasein freuen: An den vier nebeneinanderliegenden Bauwerken läßt sich augenfällig der Wandel der Technik und Industriearchitektur demonstrieren.

Die Zeit drängt. „Klar Schiff, jetzt geht's wieder Richtung Heimat!“ erklärt Kapitän Fuest, bevor er die Lautsprecher wieder den seicht dahinplätschernden Schlagern überläßt. Und schon tuckert die Santa Monika in der Abendsonne gen Süden – für die Ruhrpott-Kreuzfahrer wird's Zeit, auf Deck noch ein letztes Dortmunder Pils zu genießen.

– Die Santa Monika fährt von Mai bis Anfang Oktober jeden Sonn- und Feiertag ab Dortmund Hafen/ Mallinckrodtstraße (während des Sommers zusätzliche Fahrten am Mittwoch und Samstag). Fahrpreise je nach Tour (4-5 Stunden) 9-12 DM für Erwachsene, 5-6 DM für Kinder. Informationen und Fahrpläne bei: Hammer Schiffswerft, Theodor Fuest – Abt. Fahrgastschiffahrt, Lünener Str. 201, 59077 Hamm/Westfalen, Tel. 02381/57228.

– Das Museum am alten Hebewerk und das Schleusenmuseum sind ganzjährig (außer montags) von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Bei vorheriger Anmeldung Führung durch das alte Hebewerk möglich. Adresse: Westfälisches Industriemuseum, Am Hebewerk 2, 4355 Waltrop, Tel. 02363/9707-0.

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