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Erotische Brut unter Piraten

■ Premiere schöner Bilder und hohler Worte im Jungen Theater

Die fiebrigen Dschungelgeräusche, das Gezwitscher und Geflirre am Anfang, versprechen unbekannte Abenteuer in einer fernen Welt, wo in der Hitze zwischen Himmel und Erde etwas Verwegenes ausgebrütet wird. Es sind Kinder- und Jugendträume vom Aus- und Aufbrechen, die Mathias Zschokke in seiner Farce „Brut“ auf die Bühne bringt. Er kleidet sie in die uralten Jugendbuch-Maskeraden der Piraterie und verlegt sie an Bord eines räuberischen Seglers — der mit Mast und Wanten, Steuerrad und Schatzkisten, Kommandobrücke, Schifferklavier und Reling bildschön in den Raum gesetzt wird. Dort lebt Kapitänin Tristana Nunez (Nomena Struß), ein amazonengleiches Mannweib mit der dunkelrauhen Stimme einer Femme fatale. In den karibischen Sümpfen verliert sie die Lust am unruhigen Piratenleben. Als die Mannschaft zu meutern droht, sogar der katzbuckelnde Offizier ein Wörtchen wagt (herausragend präzise: Lutz Gajewski) — da läßt sie das Schiff wieder aufs offene Meer fahren. Aber die Piraten machen keine Beute. Ein zuletzt aufgegabelter Dichter landet an Bord im Käfig. Er ästhetisiert mit hohen Worten die traurigen Zeiten, bis die blutige Tristana ihm schließlich die Kehle durchschneidet. Danach erobern sie nur noch eine bleiche Rokoko-Dame, aber auch sie ist irgendwann tot.

Mathias Zschokke verläßt sich nicht auf die Spannung zwischen brütenden Wünschen und dumpfem Warten. Mit der Figur des androgynen Jung-Matrosen Sascha Selkirk will er seine Brut erotisch aufladen.

Und daran scheitert der Gastregisseur Thomas Bammer kräftig. Von dem Flimmern zwischen den Männern an Bord und dem schönen fremden Jüngling (einer verkleideten Frau) ist nichts zu spüren. Bammer läßt die Darstellerin Julia Schöb als burschikose, mädchenhafte Kind-Frau auftreten. Daß am Ende eine echte Nackte aus den Männerhosen steigt, ist leider keine Überraschung, sondern nur überflüssige Demonstration.

Was bleibt von dieser „Brut“? Schöne Bilder des drückenden Stillstands, ein klug ausgetüftelter Raum (Bühne: Peter Golz und Thomas Bammer). Momente, in denen alles stimmt: die Melancholie der jungen Matrosin, die zum Bandonion vom Zerschellen der Träume singt, die trockene Komik des Steuermanns Kogge (Andreas Erkau), einige lakonisch gewürzte Dialoge.

Aber der Autor will Dichter sein und muß auf den Wellen des Zeitgeistes reiten. Der Sinnkrise seiner Mann-und Frauschaft entspricht der Leerlauf seiner hölzernen Worte, in der die Brut zu versinken droht: „Menschen können soviel, ihre Möglichkeiten sind unbegrenzt, und doch legt sich über uns ein Trübsinn, ein Schleier.“

hans happel

Weitere Aufführungen: 21.-25., 29.+30.9., jeweils 20.30 Uhr

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