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Nachschlag

■ „Multimediales Melodram“ vom Berliner „Orfeo Opera Project“ im Ballhaus Naunynstraße

So man die Wandlung der Anfänge des musikalischen Dramas zur eigentlichen Oper „Dramma per musica“ als neuer Gattung an einem konkreten Werk festmachen will, verweist man gewöhnlich, nicht nur ob der neuartigen musikalisch-psychologischen Ausarbeitung der Charaktere, auf Monteverdis 1607 fertiggestellten „Orfeo“.

Das Thema Orpheus und Eurydike, den griechischen Mythen entstammend und meist unter Bezugnahme auf Ovids Metamorphosen in Libretti gewandelt, hat über Jahrhunderte hinweg fasziniert. Gluck widmete eine Oper dem gleichen Sujet, und nicht nur Orff oder Malipiero versuchten Monteverdis Vorlage durch freie Bearbeitungen neues Leben einzuhauchen.

Aber wie könnte auch die Geschichte eines Mannes, der seiner für immer verloren geglaubten Frau in die „Unterwelt“ folgt, um sie mit Hilfe herzergreifender Klagelieder wiederzugewinnen, an Aktualität einbüßen? Pointe allerdings ist das Zurückschau-Verbot, Eurydike folgt brav ihrem Orpheus, doch als dieser sich umblickt, ist, je nach Epochen-Moden, alles wieder verloren (Ovid), oder die beiden finden sich erst in himmlischer Vereinigung (Monteverdi) und bei Gluck im Happy-End aufgrund großherziger Götter dann doch sogleich.

Eine neue Version wird derzeit als „Multimediales Melodram“ vom Berliner „Orfeo Opera Project“ im Ballhaus Naunynstraße präsentiert. Und da gibt es vermeintlich Zeitgemäßes: Orpheus wird auf dem Rückweg aus der Unterwelt von einem singenden Roboter abgelenkt, besinnt sich dann aber anläßlich eines Unfalls wieder seiner Liebe zu Eurydike, die aber nun an seiner Liebe zweifelt. So steht es zumindest im Programmheft, auf der Bühne zu verfolgen ist es allerdings kaum. Dort tummeln sich drei junge Damen in weißen Roben, werden von zwei männlichen Figuren ergänzt und singen allerlei.

Nach klangseliger Synthesizer-Einleitung zu vier im Halbrund auf dem Boden plazierten, fröhlich vor sich hin flimmernden Bildschirmen erklingen vielerlei Lieder und Liedchen, die sich zwischen Monteverdi-Rezitativ und Rocky-Horror-Picture- Show bewegen. Und wenn dann die Sänger, hauptsächlich mit ihren stimmlichen Schwierigkeiten und Koordinationsproblemen mit den weit entfernt aufgestellten Musikern beschäftigt, mal pausieren, schieben sich diverse musikalische Versatzstückchen dazwischen: ein Didjeridoo bläst ein hübsches Solo, der gute alte Free Jazz wird bemüht und immer wieder: nicht endenwollende synthetische Wonnebäder.

Irgendwann bemerkt man das als Tod apostrophierte Schattenbild einer Figur in eine Ecke des Saales projiziert. Und hat bei vierfacher, ständig laufender Video-Begleitung ob all der Sinnesüberflutung längst die Orientierung verloren.

Schließlich bricht Orpheus zusammen, das Ende naht und ist auch plötzlich da, und wie sagte Baudrillard im Programmheft: „Wenn die Menschen – wider jeder Einsicht – von genialen und schöpferischen Maschinen träumen, so weil sie an ihrer eigenen Schöpferkraft verzweifeln oder aber weil sie es vorziehen, sich ihrer Schöpferkraft zu entledigen, um sie erst vermittelt durch Maschinen auszuüben und zu genießen.“ Marc Maier

„Multimediales Melodram“ vom „Orfeo Opera Project“: Heute um 20 Uhr im Ballhaus Naunynstraße.

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