: Der Kaiser macht, was er will
Beim Besuch in der Humboldt-Universität stellt sich heraus, daß Kaiser Akihito mit konservierten Fischen aus dem Naturkundemuseum forscht ■ Von Christian Füller
Von wegen Protokoll. Der Kaiser macht, was er will. Im Sitzen sollte Akihito Tsuyu Nu Mija, der bis heute abend mit seiner Gemahlin in der Stadt weilt, mit Studenten der Humboldt-Universität plaudern. So wollten es die Zeremonienaufseher. Aber „der Nachfolger der erleuchteten Güte“ und seine Frau Michiko entschieden sich für den lockeren Plausch im Stehen. Das Kaiserpaar kicherte mit der Ex-Grünen-Abgeordneten und Präsidentin der Humboldt- Universität, Marlis Dürkop, und Studenten. Bloß der Protokollchef des Senats, Bernd Fischer, versuchte immerfort wie ein Verkehrspolizist den Tenno durch den Senatssaal zu lotsen.
Grün war die Farbe des ersten Besuchstages, das Grün der Uniformen. Weiße Fähnchen mit dem roten Punkt und schwarzrotgoldene gab es zwar. Allein, es waren zuwenig Menschen zum Brandenburger Tor gekommen. Tausend vielleicht wollten den „göttlichen Kaiser“, den Tenno, sehen und ihm Winkelemente zeigen. Indes waren die dominierenden Männer in Grün wieder mal uninformiert über freie Meinungsäußerung. Sie verboten einer Jurastudentin das Zeigen eines Pappschildes, auf dem sie den Kaiser und Meeresbiologen auffordern wollte, das Waleschlachten zu beenden. Heute will sie es erneut versuchen, wenn der Tenno die Ausstellung „Japan und Europa“ besucht.
Der Kaiser ist ein kleiner Mann. Tastenden Schrittes geht er zu den Zuschauern – nicht weil er Angst hätte. Akihito, der 60jährige, wirkt älter, als er ist. Vornübergebeugt lächelt er die Menschen an. Aber sein Kopf wackelt mehr, als daß man von einem Zunicken sprechen könnte. Minutenlang spricht er mit den Leuten, der Göttliche, der es nicht mehr sein darf – weil das die Amis seinem Vater Hirohito nach dem Zweiten Weltkrieg reeducation-mäßig ausgetrieben haben. Vor der Humboldt-Universität hatten sich, diesmal nicht in Grün, sportlich gekleidete junge Männer und Frauen aufgebaut und äugten halb wichtigtuerisch, halb drohend. An der Tür der Alma mater lümmelten die Sicherheitsbeamten herum. Wenn das der Kaiser sähe!
Akihito strebt im Senatssaal, kaum hat er sie erblickt, auf die Wissenschaftler des Naturkundemuseums zu. Sie sind auf seinen Wunsch hier. Der Kaiser hat zwar, als erster seiner Dynastie, an der Universität von Tokio Volkswirtschaft und Politik studiert. Aber wissenschaftlich ist er Ichthyologe, Fischkundler. „Er betreibt das als ernsthaftes Hobby“, sagt Gottfried Böhme, Kustos am Museum für Naturkunde in der Invalidenstraße. Aus dessen Beständen hat sich Akihito 1982 konservierte Fische ausgeliehen – für seine Forschungen, deren Ergebnisse er in über 20 Aufsätzen publizierte. Ob sie ihn auf die Rückgabe angesprochen haben? „Nein“, wehrt Manfred Barthel, der ehemalige Direktor des Museums ab, „das macht man frühestens beim zehnten Glas Wein.“ Aber Wein gibt es nicht im Senatssaal, nur Orangensaft und Mineralwasser.
„Ich freue mich“, sagt Michiko zu Birgit Fürst, die sich der Kaiserin im Blitzlichtgewitter als Japanologiestudentin vorstellt. „Lassen Sie uns später noch einmal sprechen“, verabschiedet sich die Frau mit der schirmförmigen Haarspange für einige Minuten. Denn erst kommen die Professoren dran. „Man muß besonders höflich sein“, berichtet Norman Günther den neugierigen Pressemenschen, die gleich nach der Begrüßung hinauskomplimentiert oder -geschubst werden. Höflich heißt zum Beispiel, daß man dem Kaiser nicht den Arm entgegenstreckt. Also stehen die StudentInnen da und warten darauf, daß Akihito die Hand hebt. Was er gerne macht. Der Kaiser fragt Norman Günther, ob Japanisch schwer sei. Und der 27jährige weiß nicht recht, was er sagen soll als angehender Japanologe.
Norman will von Kaiserin Michiko wissen, was sie in ihrer Freizeit mache. Doch die lenkt sogleich auf ihren Mann. Er bereite gerade einen wissenschaftlichen Aufsatz für die Zeitschrift Science vor, meint die Kaiserin. „Die schwenken gleich ins Fachliche über“, ist der Student Stefan Fleck enttäuscht. Bei politischen Fragen würde der Kaiser auf die Politiker verweisen. Da hält sich Akihito an den ersten Artikel der japanischen Verfassung, nach der er nur „Symbol Japans“ ist. Die Souveränität gehe vom Volke aus. Trotzdem hält der Kaiser vor den Studenten eine kleine Ansprache. Sie seien der Grundstein für die neuen deutsch-japanischen Beziehungen, sagte er. Nicht eben mitreißend, aber unüblich.
PS: Eine zahlenmäßig kümmerliche Gegenkundgebung fand vor der Neuen Wache statt. Eine Handvoll junger Antifaschisten verteilte Flugblätter mit deutschem, umseitig japanischem Text. Die Antifas erinnerten an japanische Verbrechen im Krieg gegen China, dem 20 Millionen Menschen zum Opfer fielen. „Schmeißt den Tenno in die Spree!“ hatte es vor drei Tagen noch auf dem Flugblatt geheißen. Diese antikaiserliche Parole wurde getilgt.
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