Haus am himmlischen Kabel

In Freiburg steht das erste energieautarke Gebäude der Republik auf dem Prüfstand  ■ Von Helga Keßler

Es regnet. Und kalt ist es sowieso. Der Himmel zeigt sich hell- bis mittelgrau, kein Sonnenstrahl dringt durch. Und trotzdem sind an diesem Tag sämtliche Rollos im Solarhaus geschlossen. Alle Anlagen, die Wärme produzieren könnten, sind verschattet. „Unser Haus ändert sein Aussehen nach dem Energiebedarf“, erläutert Wilhelm Stahl. Stahl ist Physiker beim „Fraunhofer-Institut für solare Energiesysteme“ in Freiburg, dem Betreiber des ersten energieautarken Hauses der Bundesrepublik. Seinen Energiebedarf bezieht das Gebäude, das nicht an die Energieversorgung angeschlossen ist, ausschließlich vom himmlischen Kabel.

Auch an diesem naßkalten Augusttag ist es im Haus behaglich warm. So warm, daß Stahl die Fenster öffnet. Seit November letzten Jahres bewohnt er mit Frau und Kind das Haus als „Versuchsfamilie“. Über die technischen Werte wird akribisch Buch geführt.

Im Freiburger Solarhaus wird alles von der Sonne dominiert, auch die Architektur. Die Nordfassade ist flach und hat nur wenige kleine Fenster. In seiner Ost-West- Ausrichtung dagegen ist das Gebäude kreisrund und komplett verglast. Auf dem Dach blinken Solarzellen. Ebenso wie die Sonnenkollektoren sind sie nach Süden orientiert und im 45-Grad-Winkel geneigt. Die Bauhaus-Maxime „Die Form folgt der Funktion“ hat hier ihren architektonischen Niederschlag gefunden. Das ganze Haus sieht aus wie eine überdimensionierte halbe Torte, mit den Solarzellen als Sahnehäubchen.

Fünf Jahre lang haben die Wissenschaftler getüftelt. Der Computer wurde mit den Klimadaten des sonnenverwöhnten Freiburg gefüttert, der Energiebedarf wurde errechnet, und es wurde nach neuen technischen Lösungen gesucht. Zwölf Millionen Mark verschlang die Forschung, der Bau weitere 1,6 Millionen. Für Normalbürger unbezahlbar, ist das Solarhaus ein Forschungsprojekt und Experiment. „Wir wollen zeigen, daß sich der gesamte Energiebedarf über die Sonne decken läßt – auch in Mitteleuropa“ (Stahl).

Bei einem konventionellen Haus verschlingt die Heizenergie 80 Prozent des Energiebedarfs. Schuld daran ist die schlechte Wärmedämmung. Das Freiburger Haus zeigt hier neue Wege. „Die gesamte Gebäudehülle ist weitgehend frei von Wärmebrücken“, erläutert Stahl. Das Haus „schwimmt“ auf einer dicken Schaumglasschicht, auch die Kellerwände, die Bodenplatte und das Flachdach sind mit Schaumglas isoliert.

Die Nordseite ist besonders gut verpackt: Auf eine dicke Kalksteinwand folgen eine Schicht recyceltes Altpapier als Dämmung und eine Holzverschalung. Die Nordfenster sind dreifach verglast.

Auf der Südseite dominiert Glas. Große, doppelte Kastenfenster lassen die wärmende Sonne durch. Die Fassade dazwischen ist die wichtigste Wärmequelle des Hauses. Hinter den Glasscheiben verbirgt sich eine intelligente „transparente Wärmedämmung“: ein durchsichtiger, zu kleinen Röhren geformter Kunststoff fängt die Sonnenstrahlen auf und heizt die dahinterliegende schwarz gestrichene Kalksteinwand auf. Die Wand speichert die Wärme und gibt sie langsam in den Innenraum ab – mit einer Zeitverzögerung von zehn Stunden. Das Timing ist perfekt: Tagsüber heizen die Sonnenstrahlen das Gebäude direkt auf, nachts indirekt.

Auch die Lüftungsanlage ist optimiert. Die Frischluft, die über Düsen am Fußboden in die Räume strömt, ist nie kälter als 15 Grad. Als Heizquelle dient Erdwärme. Der verbrauchten, warmen Raumluft wird, bevor sie entweicht, über einen Wärmetauscher 85 Prozent der Energie entzogen.

Warmes Wasser zum Duschen, für die Spül- und Waschmaschine beziehen die Stahls aus einem spezialisolierten 1.000-Liter-Tank im Keller. Gespeist wird er von einem 14 Quadratmeter großen, ebenfalls transparent wärmegedämmten Sonnenkollektor. Die Stromversorgung durch die 36 Quadratmeter Solarzellen ist der schwierigste Punkt. Wenn das Haus auch an düsteren Wintertagen energieautark sein soll, muß es die in sonnigen Zeiten reichlich vorhandene Energie speichern. Tageszeitliche Unterschiede lassen sich über eine kleine Batterie, die photovoltaisch aufgeladen wird, ausgleichen. Für die gesamte Elektrizitäts- und Wärmeversorgung im Winter wäre aber ein 60 Tonnen schwerer Batteriespeicher nötig. Weil dies keine Lösung war, blieb, so Stahl, „der einzige uns vorstellbare regenerativ erzeugbare Energieträger, der Wasserstoff“.

Das Prinzip: Wird Strom im Überschuß erzeugt, wird er dazu verwendet, Wasser „elektrolytisch“ in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zu spalten. Beide Gase lassen sich in Tanks speichern und bei Bedarf – zur Erzeugung von Strom und Wärme – wieder verbrennen. In der Praxis allerdings gibt es Probleme. Zwar funktioniert der Wasserstoff-herd, und auch die Wärmeproduktion klappt, aber die Brennstoffzelle, welche die freiwerdende Verbrennungsenergie in Strom umwandeln soll, lief nur wenige Tage. Eine Ersatzzelle konnte erst im Februar beschafft werden, und so mußte provisorisch ein netzgekoppeltes Ladegerät einspringen und die Batterie für die Stromversorgung aufladen. „In der Weltraumforschung gibt's bessere Modelle, aber die kosten eine halbe Million Mark“, klagt Stahl über die Brennstoffzelle, für die noch keine überzeugende Lösung in Sicht ist.

In anderen Bereichen sehen die Wissenschaftler dagegen ihre Erwartungen bestätigt, wenngleich Details korrigiert wurden. Die Klingel wurde wegen ihres relativ hohen Stromverbrauchs abgehängt, ebenso die Herduhr, und der CD-Player läuft nicht mehr im Stand-by-Betrieb. Die Raumtemperatur sank einmal, nach 20 nebligen Februartagen unter 18 Grad. Die Wassertemperatur lag in zwei Kalenderwochen ebenfalls knapp unter dem Limit von 30 Grad, was „als unangenehm“ empfunden wurde. Das Behaglichkeitsdiagramm der Familie Stahl zeigt aber insgesamt unkritische Bahnen. Die Geräte im Haus funktionieren tadellos, der Kollektor zeigt einen unerwartet hohen Umwandlungswirkungsgrad, auch das thermische Gebäudeverhalten übertrifft die Erwartungen. Unerwartete Probleme bereiten die Besuchermassen. Und die Fernsehteams, die den Stromverbrauch in die Höhe treiben.