: Mutierte Lebensmittel
EG-Abstimmung über Gentechnik-Lebensmittel verschoben / Kritiker heizen Debatte an ■ Von Bettina Fink
Berlin (taz) – Wem schon jetzt die radioaktiv bestrahlten Erdbeeren sauer aufstoßen, der könnte bald an ganz anderen Kalibern würgen. Im EG-Parlament wird ein Entwurf der Europa-Kommission über „neuartige Lebensmittel und Lebensmittelzutaten“ diskutiert. Würde die Verordnung in ihrer jetzigen Form vom EG-Parlament geschluckt, könnten sich gentechnisch hergestellte Mittel wie Aromen, Hilfs- und Zusatzstoffe oder Enzyme künftig in vielen Lebensmitteln verbergen. Gentechnisch manipulierte Kartoffeln, Schweinesteaks mit menschlichen Wachstumsgenen oder mit Gentech-Superhefe vergorenen Biersorten sehen Grüne, Verbraucher- und Umweltverbände schon unerkannt auf Mittagstischen.
Das liege vor allem an der unzureichenden Kennzeichnungspflicht für Gentech-Lebensmittel, monieren die Kritiker. Sind die gentechnisch veränderten Substanzen nicht Hauptbestandteil oder „charakteristisch“ für ein Produkt, so ist in einem Vorschlag der EG-Kommission nur eine „Erwähnung“ in der Liste der Inhaltsstoffe vorgesehen. „Damit würden die Verbraucher zu Versuchskaninchen der Industrie, denn gentechnisch veränderte Lebensmittel wären von anderen nicht ausreichend zu unterscheiden“, schimpft etwa die Verbraucherinitiative.
Noch ist es nicht soweit. Die Abstimmung im EG-Parlament wurde gestern auf Ende Oktober verschoben. Sehr zur Freude der Gentech-Gegner, die die gewonnene Zeit für forcierte öffentliche Diskussionen zu nutzen gedenken.
Ein Vorschlag: eine gesetzlich garantierte und eindeutige Kennzeichnungspflicht. Die grüne Europaabgeordnete Hiltrud Breyer fordert dafür die Schaffung einer Art „blauer Engel“ für garantiert gentechnikfreie Lebensmittel und -zusätze. Schule machen könnte, so Breyer, auch ein Beispiel aus Chicago. Dort hat der Stadtrat beschlossen, Restaurants bereits bei der Lizenzvergabe zu verpflichten, die Verwendung genmanipulierter Lebensmittel anzukündigen.
Ein weiterer Punkt, an dem die Kritiker noch kauen, ist die Folgenabschätzung für „neuartige Lebensmittel“. Da über Wirkungen von genmanipulierten Pflanzen für Mensch und Tier so gut wie nichts bekannt ist, sind Risiken nicht auszuschließen. Der Skandal rund um das gentechnisch hergestellte Eiweiß L-Tryptophan sitzt noch tief in den Knochen. Das Produkt einer japanischen Firma hatte wegen kaum messbarer Verunreinigungen in den USA 31 Tote und 1.500 teils schwer Erkrankte zur Folge. Dennoch genügt derzeit die Unbedenklichkeitsbescheinigung von einem Experten – nicht selten selbst aus dem Dunstkreis der Bio- und Gentechindustrie –, um beispielsweise Cornflakes aus Gen- Mais in unsere Supermarktregale bringen zu können. Nur für Gentech-Produkte, die lebensfähige genmanipulierte Organismen enthalten, soll es ein Zulassungsverfahren geben. Den Skeptikern geht es jetzt darum, den klammheimlichen Einzug der Gentechnik in Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion via Brüssel und Straßburg zu verhindern. „Lassen sich solche Produkte schon nicht vermeiden, dann sollen sie wenigstens nur in einem öffentlichen Zulassungsverfahren unter Beteiligung von Gesundheits-, Umwelt- und Verbraucherverbänden genehmigt werden, so Ute Stolpe von der Verbraucher Initiative in Bonn. Mit vermehrter Aufklärungsarbeit wird nun die Öffentlichkeit nochmals aufgerüttelt. Und nicht erst seit den drastischen Marktverlusten der Hollandtomate müßte klar sein, daß mit kritischen Konsumenten zu rechnen ist. Aus Protest gegen das „künstliche Produkt ohne Geschmack“ hat sich ein nicht unbeachtlicher Teil der VerbraucherInnen mittlerweile auf spanisches und marokkanisches Gemüse verlegt. Und Europas Molkereien haben den Einsatz eines Hormons in der Milcherzeugung gerade erst aus Angst vor ihren Kunden verhindert.
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