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Düstere Visionen

■ Hammoniale: BAT KunstFoyer zeigt baltische Kunst

Das diesjähriges Plakatmotiv der Hammoniale ist ein Entwurf der estnischen Künstlerin Eve Kask-Karmaa. Ihre farbigen Linolschnitte sind daher auch die auffälligsten in der kleinen Sammlung aktueller Kunst aus den baltischen Republiken, mit denen das BAT KunstFoyer den Schwerpunkt des Festivals unterstützt. Die Arbeiten zeigen meist düstere Visionen einer Gesellschaft im Umbruch.

In einer Serie großer Bildrollos quälen sich in vorherrschendem Schwarz Menschen aus engen Erdspalten, messen ihre Kräfte mit ihrem Schattenbild, stürzen und springen von Felsen in die Tiefe. Andris Breze, Ojars Petersons und Juris Putrams aus Riga setzen mit ungewöhnlich dimensionierten Siebdruck-Formaten Zeichen für die Ungewissheit und Verletzlichkeit der Veränderung. Der lichttragende „Bote“ im expressiven Stil zwischen den alten „Neuen Wilden“ und dem italienischen Mythosmaler Francesco Clemente angesiedelt, muß die Flamme gegen die Widrigkeiten des Dunkels schützen: eine mögliche Funktion auch der Kunst in Zeiten, in denen alte und neue Hoffnungen zu scheitern drohen. Denn auf die Gedanken in den Köpfen der fremdartigen „Passanten“ in den kleineren Radierungen von Putrams oder den „Weichensteller“ von Andrejs Kalnacs scheint kein Verlaß.

Die auch im Katalog-Leporello festgeschriebene Tatsache, daß die baltischen Staaten in der Begegnung mit dem westlichen Wirtschaftssystem jede Illusion auf gleichberechtigte Partnerschaft verloren haben, gibt der Präsentation solcher in Kunst geronnenen Ängste im Foyer eines Wirtschaftsunternehmens schon fast einen zynischen Anstrich. Wo die Welt nicht zu verändern ist, bleibt die Flucht in die Phantasie. Die vedutenhaft abbildenden Kaltnadelradierungen mit melancholischen Ansichten vom Verfall der Architekturen in Vilnius werden bei dem Litauer Petras Repsys mehr und mehr von persönlichen Kommentaren überwuchert bis poetisch formalisierte Textbilder übrigbleiben.

Wieder einmal sind es die Frauen, die ungebrochen Visionen entwickeln können: Mythische Formen wie der universalistische Fetisch „Säule“, flammende weibliche „Anima“ und der phallische „Animus“ von der oben erwähnten Eve Kask-Karmaa sowie die Collagen ihrer Kollegin Liina Siib aus Wetterkarten, Blumenpapieren, Cannabis-Blättern und marokkanischer Mustern. Hajo Schiff

B.A.T. KunstFoyer, Mo 10-20 Uhr, Di-Fr 10-18 Uhr, Esplanade 39, bis 15.Oktober

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