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Der trojanische Stein

■ Uli Steins Autobiographie: Einmal Nonkonformist sein

Dieses Leben ist bis zum Äußersten gespannt, und dabei ist erst Halbzeit. Die Fäuste sind geballt voller Wut und Zorn, bereit zum leidenschaftlichen Kampf im großen Spektakel, das Fußballbundesliga heißt. Nehmt Euch in acht: Super-Uli fliegt wieder! Nicht nur zwischen den Torpfosten von Eintracht Frankfurt, sondern überall, einfach überall. Sogar zwischen den Buchdeckeln seiner Autobiographie.

„Es ist bestimmt nicht einfach, einen Typen wie mich zu begreifen“, liest man auf Seite 239 von Uli Steins „Halbzeit“ und weil das Buch dannach bald zu Ende ist, fragt man sich zunehmend ratlos, welche Hilfestellungen man bis dahin überhaupt bekommen hat. Die Fakten sind bekannt. Steins Rauswurf bei der WM 1986 in Mexiko, der Rauswurf beim HSV nach dem Faustschlag gegen Jürgen Wegmann und andere lautstark ausgetragene Konflikte waren „ebenso aufregend wie mein sonstiges Leben verlief“.

Also, ganz schön was los. Und mehr noch: In „Halbzeit“ wird das zu einem großen „Aufbegehren“. „Trotz besserer sportlicher Referenzen bin ich überall abserviert worden, weil ich immer radikal vertreten habe, was ich für richtig halte.“ Aber, so möchte man schüchtern fragen, was hält Uli Stein denn für richtig? Gegen was begehrt er eigentlich auf? Wo steht sein Feind? Auf einigen Fußballplätzen auf jeden Fall. Deutlich, leicht nachvollziehbar, und daher schon vorab veröffentlicht ist seine Stepanovic-Schelte, die fachlich nun wirklich nicht von der Hand zu weisen ist. „Wer gegen Bayern München gleich drei Debütanten aus dem Amateur- und Jugendlager einsetzt, der muß naiv oder größenwahnsinnig sein.“ Auch mit Lothar Matthäus trifft es durchaus keinen Falschen. „Geschwätzig, scheinbar offen und ehrlich kritisiert er immer da, wo es nicht weh tut. Zumindest, wo es nur den Schwächeren trifft.“

Das sind donnernd deutliche Worte. Aber an denen mangelt's in der „Bilanz ohne Deckung“ des Uli Stein sowieso nicht. Und so grollt er weiter. Mal sorgt er sich darum, als Publikumsmagnet eines Amateurländerspiels ausgenutzt zu werden, geißelt dann das Spiel der deutschen Nationalmannschaft zwischen 1978 und 1988 als „Antifußball“ und ist doch nicht allein Bollerkopf. So weist er auf „unfaßbare Energien im Universum“ hin, die vielleicht auch „sozialpsychologische Prozesse beeinflussen“. Dabei beläßt er es aber leider, denn es handelt sich „um ein weites Feld, das bekanntlich in die Unendlichkeit führt“.

Heftig was um die Ohren gibt es für die Umweltverschmutzer von Hoechst, und man atmet auf, daß Eintracht Frankfurt rechtzeitig zu Saisonbeginn den Sponsor gewechselt hat. Doch da erwischt es wenige Zeilen später schon die „Wegwerfgesellschaft“. Die produziert nämlich „Einwegverpackungen, die nicht recycelbar sind“, was nun wieder Eintrachts neuen Trikotsponsoren „Tetra Pack“ gar nicht gerne lesen werden.

Diese erschöpfende Meinungsflut hat Uli Stein natürlich nicht alleine in die Schreibmaschine getippt. Aber, so versichert der Verleger glaubhaft, Stein war begeistert davon, wie der Ghostwriter Broka Herrmann seiner Gedankenwelt Form gab. Und der hat versucht, aus ihm einen dissidenten Kicker für die Halblinke zu machen. Da wird Stein etwa ein ausgiebiges Theoriekonglomerat aus Menotti und Schulze-Marmeling untergehoben, das mit der Steinschen Forderung, am besten solle doch eine Bank die Lizenzspielermannschaft der Eintracht übernehmen, nun wirklich nichts zu tun hat. Jedes Gemaule kommt komplex überbaut daher und in einem Zungenschlag, der, das merkt man, ohne Stein zu kennen, dessen Wirklichkeit etwas weit ausblendet. Und während Scheibner, Robert Altmann oder das Vorläufige Frankfurter Fronttheater herbeizitiert werden, kommt alles gleich in die Häckselmaschine eines stilblütengesättigten Trivialstils, der auf Massenappeal abzielt.

Während so ein trojanischer Stein Seite auf Seite an uns vorbeirollt, erfahren wir vielleicht, wie sich ein Biograph seinen Protagonisten wünscht. Doch wo ist dabei eigentlich Uli Stein geblieben? Christoph Biermann

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