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Textur der geordneten Welt

Teppiche nomadischer Turkmenenstämme im Völkerkundemuseum Hamburg  ■ Von Kai Voigtländer

Ein Teppich kann Geschichten erzählen. Über die Hände der Frauen, die ihn geknüpft haben, über den Stamm, in dem er entstanden ist, über das Leben der nomadischen Familienverbände in der Wüste Karakum. Man muß sie nur lesen können, die Geschichten.

Ein Teppich kann die Welt bedeuten. Seine breite Bordüre wirkt wie eine magische Wand. Wer auf dem Teppich bleibt, den schützen die Zeichen am Rand vor allen Gefahren des Lebens in der Wüste. Wenn der Teppich in der feindlichen, gestaltlosen Wüstenlandschaft ausgerollt wird, dann liegt da ein Stück Zivilisation: geordneter Raum, durch Zeichen und Muster, Farben und Linien strukturierte Welt. Man muß sie nur verstehen können, diese Welt.

Wer den Orientteppich bislang nur als Prunkstück der bürgerlichen Repräsentationskultur im quadratischen Normwohnzimmer kennt, als stilechtes Ergänzungsmöbel zum Gelsenkirchener Barock, dem sei ein Besuch im Hamburgischen Museum für Völkerkunde empfohlen. Dort gibt es eine Teppichausstellung zu sehen, die alles andere ist als eine Teppichausstellung: „Wie Blumen in der Wüste ... Die Kultur der nomadischen Turkmenenstämme Zentralasiens“ macht die Teppiche lesbar, erzählt ihre Geschichten und ordnet sie in den Alltag eines Nomadenvolkes ein.

Die Lebenswelten der Nomaden und ihrer halbnomadischen Verwandten werden in den beiden Präsentationsräumen anschaulich: Der Besucher kommt zuerst ins Dorf, in die Ansiedlung der seßhaften Ackerbauern am Rand der Steppe oder in einer Oase. Es riecht nach Schafwolle. Schmuck, Perlen und Steine liegen aus. Teppiche stapeln sich vor dem Haus, gängige Handelsware in allen Größen und Formen. Eine Vitrine zeigt „Handelsturkmenen“: Teppiche, die nicht aus der traditionellen Fertigung für den Eigenbedarf des nomadischen Haushaltes stammen, sondern auf Bestellung geknüpft wurden – ohne Rücksicht auf überlieferte Motive und Muster.

Die „echten“ turkmenischen Teppiche hängen an der Wand, einige mehr als zweihundert Jahre alt und von schlichter Schönheit. Präsentiert werden sie allerdings nicht als Kunstobjekte, als funkelnde Solitäre auf weißer Wand, sondern in Reihen übereinander gehängt: so daß Muster und Abweichungen auf den tiefrot leuchtenden Teppichen besser lesbar werden. Eine Hängung, die schon vor der Ausstellungseröffnung zu heftigen Kontroversen zwischen Teppichsammlern und Ethnologen geführt hat: denn Sammler, die ihre Teppiche für eine Ausstellung zur Verfügung stellen, wollen ihre Schmuckstücke wie Kunstwerke behandelt wissen.

Es ist den Ausstellungsmachern um Museumsdirektor Wulf Köpke hoch anzurechnen, daß sie dem Geschrei der Sammler zum Trotz eine ethnographische Ausstellung gemacht haben: so lernen die Besucher, zwischen den Hauptteppichen (Hali), den Repräsentationsstücken für festliche Gelegenheiten, und den anderen Knüpferzeugnissen der Turkmenen zu unterscheiden. Die Welt als Teppichschlinge: da finden sich geknüpfte Türumrahmungen, Eingangs- und Schwellenteppiche, meterlange, schmale Zeltbänder, ein Herdteppich mit U-förmiger Aussparung für die Feuerstelle, Topflappen mit langen, bunten Troddeln, Salatschak, der Kinderwiegenteppich, Salzbeutel und Taschen für Tee, Zucker und Mehl. Statt Möbel gibt es Tschowal, Jurtentaschen von riesigen Ausmaßen, in denen saubere und schmutzige Wäsche oder anderer Hausrat aufbewahrt wird.

Mit einiger Mühe kann man sogar die Textur der Teppichmuster entziffern, die die knüpfenden Frauen von Generation zu Generation weitergegeben haben. Da gibt es die Hauptmuster auf den Halis, die das Zeichen des Stammes tragen. Unterworfene Stämme dürfen ihr Zeichen nur in den kleineren Mustern auf den weniger wichtigen Knüpfobjekten, den Nebenteppichen und Taschen weiterführen. Dreiecke oder stilisierte Widderhörner schützen vor dem bösen Blick, das Löffelmotiv soll fette Mahlzeiten garantieren, Granatäpfel Glück und Fruchtbarkeit.

Alle Objekte der Ausstellung lassen sich der Behausung der Turkmenen zuordnen: der Jurte, die für die Nomaden Lebensmittelpunkt, Kosmos und heiliger Ort ist. Jeder Gegenstand hat einen seiner Funktion entsprechenden Platz im Zelt, Männer und Frauen, Kinder und Gäste leben in eigenen, abgetrennten Bereichen. Wie alles in der mobilen Welt der Nomaden ist auch die Jurte leicht und transportabel.

Ein Wohnzelt aus Turkmenistan ist darum auch der Zielpunkt des zweiten Ausstellungsraumes: durch eine brusthohe Jurtentür aus Holz kommt man in die „Wüste“, einen nahezu leeren Raum. Sand knirscht unter den Schuhen, es riecht kühl und würzig, ganz anders als im Dorf. Wenige Teppiche liegen auf flachen Podesten im Raum und leuchten nun wirklich – wie Blumen in der Wüste.

Noch nie ist die Welt der Reiternomaden aus Turkmenistan so sorgfältig und so detailfreudig präsentiert worden. Das macht die Schau im Hamburger Völkerkundemuseum nicht nur für Teppichfanatiker und Ethnologen attraktiv; sie ist auch zum Anziehungspunkt für viele Turkmenen geworden. Sie entdecken die Würde in den Exponaten, und damit ihre eigene Geschichte neu. Die triste Gegenwart ihrer jetzt unabhängigen Republik, die ökologischen Katastrophen des Karakum-Kanals und der pestizidverseuchten Baumwollplantagen, das Verschwinden der nomadischen Kultur und der traditionellen Knüpftechniken – all dies kommt in der Hamburger Ausstellung nur am Rande vor. Das ist – wenn überhaupt – das einzige Manko dieser einzigartigen Präsentation: sie zeigt nur die leuchtenden, nicht die vergifteten Blumen in der Wüste.

„Wie Blumen in der Wüste“, bis zum 3. Oktober im Hamburgischen Museum für Völkerkunde. Es gibt einen von den Teppichsammlern herausgegebenen, bilderreichen Katalog für skandalöse 170 DM, und ein schlichtes Heft, in dem die informativen Texte der Ausstellung zusammengefaßt sind, für 25 DM.

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