: Holland: Alles wird teurer
Im kommenden Jahr will die Regierung alle Sozialleistungen zusammenstreichen / Sogar die Königin lauscht der Haushaltsdebatte ■ Aus Amsterdam Jeannette Goddar
Den großen niederländischen Zeitungen war die Haushaltsdebatte in Den Haag eine Sonderbeilage wert. Unter Titeln wie „Millionennote“ kommentierten sie gestern auf bis zu 15 Seiten die Sparpläne der Regierung. Angesichts der wachsenden Staatsverschuldung, die im kommenden Jahr von 369 Millionen auf 390 Milliarden Gulden steigen wird (ein Gulden entspricht etwa 90 Pfennig), will die Regierung 1994 sechs Milliarden einsparen.
Wie ihre europäischen Nachbarn sind auch die Niederlande mit einer immer größer werdenden Finanzierungslücke konfrontiert. Mit 28,4 Millionen Gulden nimmt die Zahlung von Zinsschulden nach den Ausgaben für Bildung und Wissenschaft das zweitgrößte Budget des Haushalts in Anspruch. Um die Differenz zwischen Ausgaben und Einnahmen, die in diesem Jahr bei 20 Milliarden Gulden lag, nicht noch größer werden zu lassen, hat die Regierung aus Christ- und Sozialdemokraten ein Sparpaket entwickelt, das die gesamte Bevölkerung zu spüren bekommen wird – insbesondere allerdings jene, die am bisher vorbildhaft gut ausgebauten Netz sozialer Unterstützungen teilhaben.
Eingefroren werden sollen 1994 Tarifvereinbarungen und Beamtengehälter, das Kindergeld und die Sozialhilfe. Faktisch droht damit den NiederländerInnen ein Kaufkraftverlust von 2,5 Prozent. Ferner wird das Bus- und Bahnfahren teurer; Autofahrer sollen für Benzin und Diesel bis zu zehn Pfennig mehr auf den Tisch legen. Die so gewonnenen 600 Millionen Gulden sollen einer verbesserten Infrastruktur zugute kommen. Angesichts der Transitlage des Landes in der EG sollen die Verkehrswege zu See, auf der Straße und in der Luft verbessert werden.
Im Zuge der anhaltenden Rezession stünden auch in den Niederlanden „alle Zeichen auf Rot“, verkündete bei der Vorstellung der „Millionennote“ Arbeitsminister Bert de Vries (CDA). Mit 715.000 EmpfängerInnen von Arbeitslosenunterstützung (einer Steigerung von 150.000 gegenüber 1992) werde im kommenden Jahr ein Nachkriegsrekord erreicht. Tatsächlich ist die Beteiligung am Arbeitsmarkt ein ewiges Problem der Niederlande: Zu den 715.000 gesellen sich weitere 900.000 Arbeitsunfähige. Damit ist ein Viertel der potentiell arbeitenden Bevölkerung ohne Arbeit; voll erwerbstätig ist sogar nur etwa jeder dritte im arbeitsfähigen Alter. Jetzt sollen die NiederländerInnen durch Einschnitte in ihr soziales Netz zur Arbeit getrieben werden. Bereits seit Monaten war das Parlament damit beschäftigt, zu diskutieren, wie der vermeintliche Mißbrauch staatlicher Gelder künftig verhindert beziehungsweise der Zugang zu denselben erschwert werden könne. Auch lohne es sich bei einem Mindestsozialhilfesatz von 1.250 Gulden (für Alleinlebende) kaum, sich ernsthaft um Arbeit zu bemühen, hieß es immer wieder in der Debatte darum, wie lange sich das Land seine Großzügigkeit noch wird leisten können.
Selbst Königin Beatrix war im Parlament erschienen, um ihr Volk zu mehr Zusammenarbeit in schwierigen Zeiten aufzurufen. Ihre Worte klangen besonders Gewerkschaften in den Ohren: Es solle geprüft werden, inwieweit ArbeitnehmerInnen auch unterhalb des (eingefrorenen) gesetzlichen Mindestlohnsatzes von momentan 2.163 Gulden beschäftigt werden könnten. Der Arbeitsminister selbst ist mehr auf die Tarifverträge aus: Es gehe nicht an, teilte er mit, daß die meisten etwa fünf bis zehn Prozent über dem Mindestlohn lägen. Um 500 Millionen Gulden soll der soziale Wohnungsbau gekürzt werden. 400 Millionen sollen bei der Arbeitslosenunterstützung eingespart werden; 340 bei der Ausbildung, insbesondere an den Universitäten, sowie 285 Millionen im Gesundheitsbereich.
Auch die Proteste der StudentInnen der vergangenen Monate gegen anstehende Kürzungen haben wenig gefruchtet: Die bisher übliche staatliche Unterstützung von StudentInnen wird künftig abhängig vom Einkommen der Eltern sein. Das bisher übliche Basisstipendium wird nur noch denen dauerhaft gewährt, die regelmäßig bestandene Examen vorweisen können. Belohnt werden sollen schnelle Studierer: 2.000 Gulden Prämie sollen jenen zustehen, die vor Ende der Regelstudienzeit ihren Abschluß machen. Besonderes Staunen rief der Plan des Bildungsministeriums hervor, zu erwägen, ob nicht ehemaligen Studenten, die an UN-Friedensmissionen teilnehmen, künftig Studienschulden erlassen werden können.
Doch es wird auch noch ausgegeben: Neben der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Verbesserung der Infrastruktur liegt auch der Regierung im Nachbarland Deutschlands die innere Sicherheit besonders am Herzen: 275 Millionen Gulden sollen in mehr als 2.000 neue Gefängniszellen verbaut werden; 40 Millionen zusätzlich soll die Polizei auf ihrem Konto verbuchen können.
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