Abschreiben aus Polizeiberichten?

■ betr.: „Domplatz gegen die Nazis verteidigt“, taz vom 20.9.93

Zur vorzeitigen Beendigung des NPD-Bundesparteitages in Coppenbrügge am 18.9.93 schrieb die taz: „Nachdem die Rechtsradikalen wegen des ,ohrenbetäubenden Lärms‘ (NPD) der Gegendemonstranten gegen 22 Uhr den Parteitag vorzeitig abbrachen, kam es zu Rangeleien zwischen empörten Demonstranten und der Polizei, die den Abmarsch der Parteitagsdelegierten sicherte.“ Schreibt die taz aus Polizeiberichten ab, anstatt selbst vor Ort zu recherchieren bzw. die Darstellung der DemonstrantInnen zur Kenntnis zu nehmen?

Was passierte wirklich? Um 21 Uhr bildeten die DemonstrantInnen vor dem Eingang des Versammlungsortes eine Gasse. Damit beendeten sie ihre Blockade und schafften der Polizei die Möglichkeit, die NPD-Delegierten aus dem Saal zu geleiten.

Trotz vorher signalisiertem Einverständnis ging die Einsatzleitung der Polizei nicht darauf ein, sondern ließ die DemonstrantInnen gegen 22 Uhr durch massiven Polizeieinsatz vom Platz vor dem Versammlungsgebäude wegdrängen. DemonstrantInnen wurden mit Knüppeln auf den Kopf und in den Unterleib geschlagen sowie getreten. Fünf DemonstrantInnen erlitten Kopfverletzungen, zwei Verletzungen am Knie. Festzuhalten ist:

1. Jegliche Gewalt und Eskalation ging von der Polizei aus.

2. Das Angebot der Demonstration, den Abzug der Delegierten durch die von ihnen gebildete Gasse zuzulassen, wurde von der Einsatzleitung der Polizei (namentlich Herr Bodemann) mit einem polizeilichen Angriff auf die Demonstration beantwortet.

Zur am gleichen Tag stattgefundenen Demonstration gegen den drohenden Aufmarsch der Jungen Nationaldemokraten (JN) in Fulda schreibt die taz: „An diversen Kontrollpunkten wurden – nach Polizeiangaben – ,Taschenmesser, verdächtig aussehende Flaschen und Tücher‘ beschlagnahmt. Im Verlauf der diversen spontanen Protestzüge durch die Stadt kam es dann vereinzelt zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und vermummten Demonstranten.“ Hier wird offensichtlich nur die Polizeidarstellung wiedergegeben.

Wahr ist, daß antifaschistische DemonstrantInnen sowohl auf dem Weg nach Fulda als auch am Rande der Demonstration schikaniert und grundlos festgenommen wurden.

Eine Gruppe von mehreren hundert DemonstrantInnen von Jugend gegen Rassismus in Europa (JRE), Gewerkschaftern, JungsozialistInnen und anderen Antifaschisten, die am Samstag früh in Erfurt gegen den ursprünglich für dort erwarteten NPD-Parteitag demonstriert hatte, wurde auf den Einfahrtsstraßen gezielt angehalten und durchsucht. Ihr rechtzeitiges Eintreffen zur antifaschistischen Demonstration wurde dadurch verhindert.

Die kontrollierenden Polizeibeamten gingen sogar so weit, AntifaschistInnen generell den Zugang nach Fulda zu untersagen und drei JRE-Mitglieder aus dem Auto heraus zu verhaften, weil sie angeblich auf einer Fahndungsliste stünden, was nachher zurückgenommen wurde. Auf der Demonstration in Fulda wurde außerdem ein Erfurter Antifaschist grundlos verhaftet und mißhandelt.

JRE organisierte daraufhin eine Protestdemonstration für die Freilassung der Gefangenen, an der rund 1.000 Personen, darunter eine große Menge Fuldaer Jugendlicher, teilnahmen. Diese Protestdemonstration verlief von seiten der DemonstrantInnen friedlich und ohne Provokationen. Die Fuldaer Polizei marschierte trotzdem massiv auf, unter anderem mit einem Wasserwerfer! Zum Abschluß wurde der antifaschistischen Demonstration der Domplatz, der von den Nazis bei ihrem Aufmarsch am 14.08. genutzt wurde und auf dem kurz zuvor die von SPD, DGB und anderen organisierte Kundgebung mit 5.000 Teilnehmern stattfand, als Platz für die Abschlußkundgebung verboten. Der Ordnungsamtsleiter Herr Semler sagte zur Begründung, daß dieser Platz „kein Aufmarschplatz für Linke oder Rechte“ sei. Herrn Semler scheint entfallen zu sein, daß das am 14.8. noch ganz anders aussah. Ulf Petersen, „Jugend gegen Rassismus“ Köln