: Disput mit imaginärem Dritten
■ Südliche Deichtorhalle: Fotoarbeiten in Leuchtkästen von Jeff Wall
Neun fröhliche Kinder vor himmlischen Wolken locken in die schöne, leuchtende Fotowelt des Jeff Wall. In runden Bildkästen scheinen die Cibachrome-Dias an der Oberkante der Wand fast zu schweben. Doch wofür wird hier geworben? Der perfekt inszenierte schöne Schein des Künstlers aus Vancouver hat etwas Irritierendes. Walls Leuchtkästen fielen hierzulande erstmals 1981 bei Westkunst und 1982 auf der dokumenta VII auf, in Hamburg war die 3 mal 4 Meter große Arbeit Tote Truppen reden schon einmal letztes Jahr bei POST HUMAN zu sehen.
Doch „nachmenschlich“ ist Jeff Walls inszenierte Foto-Kunst gewiß nicht. Sie ist in vielem der Tradition verhaftet. Bildinhalte, allegorischer Aufbau und Lichtmagie entsprechen stark der Atelier-Kunst des 19. Jahrhunderts. Zwei Frauen aus einfachen Verhältnissen im Gespräch auf einem Weg in den undefinierten Randbezirken der Großstadt: ein Bild, dessen unterdrückte Wut sich erst beim zweiten Blick auf die anscheinend belanglose Szene erschließt. Jeff Wall zufolge ist es tief in der abendländischen Kultur verwurzelt: klassischer Bildaufbau im Stile der heroischen Landschaft Poussins mit Verweis auf die griechische Philosophie durch den Titel „Diatribe“ (= „heftiges Anprangern im spazierengehenden Disput mit einem imaginären Dritten“).
Jeff Walls Fotoarbeiten sind immer allegorisch, sie wollen Geschichten erzählen und Zustände kritisch vorführen. Sie sind die Erben einer Tradition der Kunst als gemaltes Drama, die sich mit modernster Technik und eigenem Bühnenlicht in Szene setzen. Ihre Personen sind im Zustand einer latenten Krise, die sich durch kleine Hinweise andeutet oder gerade ausbricht. Diese Krise umfasst die Realität der Abbildung mit ihren Schauspielern und die abgebildete Realität gleichermaßen: je normaler die Motive erscheinen, desto absurder ihre Ausstrahlung.
„Das Spontane ist bei weitem das schönste aber nichts in der Kunst kommt weniger spontan zustande als das Spontane“, sagt Jeff Wall und inszeniert seine Bilder mit aufwendiger Kinotechnik und Computermontage bis ins Detail. Einen Eindruck davon geben zwei Kabinette mit kleinen Fotos solch einer Produktion. Bei Jeff Wall klärt die Fotomontage nicht mehr durch ihre sichtlichen Gegensätze auf. Hier gibt sie sich bruchlos wie ein wahrhaftiges Abbild des Lebens - eines Lebens aber, das in der Realität gerade nicht mehr als Ganzes geschaut wird, sondern in Einzelaspekte zersplittert.
Ein Bild wie der Stolperstein kommt dem Irrsinn der Realität schon sehr nahe: Krieg zwischen allen Ebenen der Gesellschaft inmitten des normalen Alltags. Der altlinke Künstler Terry Atkinson bezeichnet im Katalog in reichlich weitgehender Überzeichnung das Bild der sprechenden Toten der Roten Armee als „revolutionäre marxistische Pädagogik“. Es ist mehr das angenehm gruselig auf den Punkt gebrachte, herrschende Vorstellungsbild, mit dem Wall eher indirekt die Hoffnung auf etwas Besseres andeutet: Kunst als moralische Anstalt der Aufklärung. Dabei kommen die Arbeiten daher wie große Oper, grandioses Getöse, das erst hinter seiner perfekt verführenden Oberflächlichkeit die Kritik aufblitzen läßt – auch hinter Verdis schönen Tönen verbarg sich einst ein politischer Kommentar mit Sprengkraft. Hajo Schiff
Deichtorhalle, bis 17.April
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