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Farbe des Elends

■ „Olodum“, ein brasilianisches Selbsthilfeprojekt

Mit ihren dumpfen Trommeln verwandelten zwanzig Musiker aus Bahia am Freitag abend die Fabrik in einen Samba-Reggae-Hexenkessel. Aber Olodum ist mehr als Musik. Die Band ist Teil eines umfassenden sozialen Projekts in Brasiliens historischer Hauptstadt Salvador, an das sie 30% des Gewinns abführt. Im Altstadtteil Pelourinho, bennant nach dem Pranger, an dem die Sklaven ausgepeitscht wurden, wurde Olodum 1979 als schwarze Karnevalsorganisation gegründet. Heute nimmt sie sich der aktuellen Probleme an: Analphabetismus, Aids, Cholera, Prostitution, Rassismus und vor allem das Elend der Hunderttausende von Straßenkindern. Die Organisation betreibt eine Fabrik für Karnevalsbedarf, Werkstätten , Läden, einen Verlag, eine Schule für 350 Kinder und organisiert diverse kulturelle Aktivitäten. Direktoriumsmitglied Jorge Luiz Fernandez erklärt Olodum.

Ist die Organisation religiös?

Unsere 300 Jahre lang unterdrückte Religion des Candomble gibt uns Widerstandsvermögen. Die afrobrasilianische Religion ist die Basis für die geistige Einheit unseres Volkes und für den Freiheitskampf. Dabei ist Musik ein Vehikel, um auf das Elend, die Ungerechtigkeit, und die Verzweiflung der Armen, Schwarzen und Indianer aufmerksam zu machen.

Wie sieht die soziale Situation in Bahia aus?

In Salvador gibt es 40% Analphabeten, wir haben in einer Zwei-Millionen-Stadt 300 000 Straßenkinder. So zerstört und brutalisiert eine Gesellschaft ihre Zukunft. Dazu haben wir 44% Inflation. Wenn einer Geld spart, um ins Kino zu gehen, sind die fünf Mark, die er braucht, am Monatsende nur noch drei. Ergebnis: kein Spaß und keine Kultur. Die Wirtschaft hält uns de facto in Sklaverei. Brasilien hat als vorletztes Land der Welt erst 1888 die Sklaverei abgeschafft, jetzt ist es das letzte, das seine Bevölkerung integrieren muß. Denn guck mal, welche Farbe hat die Arbeitslosigkeit, welche Farbe die Bettler und welche Farbe die Favelas?

Ihr habt 1988 mit Paul Simon gearbeitet. Ergeben sich dabei nicht neokoloniale Strukturen?

Nein, die Zusammenarbeit mit ihm war gut. Isolation bedeutet Rückschritt, Austausch treibt die Menschheit voran, solange keiner versucht, den anderen zu dominieren. Und unser Kampf um Pelourinho und gegen Rassismus wurde so weltbekannt. Wir sind eine Gruppe von Schwarzen und Mischlingen und wir wollen Zutritt und Mitarbeit von Weißen. Wir wollen nicht unserseits einen schwarzen Rassismus aufbauen.

Wo fehlt die Politik?

Die Regierung muß endlich Gesundheit, Schule und Arbeit gewährleisten. Mit dem Rest können wir gut selbst umgehen. Olodum ist heute das Symbol gegen den Rassismus, eine Erbschaft ganz Brasiliens. Es zeigt, daß alle das Recht und die Fähigkeit haben, ein Weltbürger erster Klasse zu sein.

Marlene Günther/Hajo Schiff

Spendenkonto: 0710032401 Commerzbank, BLZ 100.400.00, Stichwort: Escola Criativa Olodum.

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