: Überraschung
■ Das Theater im Zimmer findet eine neue „Warten auf Godot“-Sicht
Welche Überraschung kann eine Warten auf Godot-Inszenierung 1994 noch bieten? 1953 erschienen, bereits 1956, wie Joachim Kaiser im Vorwort der Taschenbuchausgabe schrieb, zum „Stück fürs Bürgertum“ avanciert, ist aus Samuel Becketts Warten auf Godot längst ein musealer Klassiker der Moderne geworden. Spätestens seit der Gosch-Inszenierung 1988 am Schauspielhaus schien es, als könne man die Rezeptionsgeschichte endgültig schließen. Zwei uralte Männer redeten mit unendlicher Langsamkeit, als müßten sie jede Silbe, jede Bewegung dem Nichts abtrotzen, aber auch mit unendlicher Genauigkeit, als seien sie zugleich die versiertesten Beckett-Experten, aneinander vorbei.
Und dann das! Und dann an diesem kleinen, winzig-süßen Theater! Christoph Roethel hat am Theater im Zimmer Warten auf Godot inszeniert, und alles ist anders. Wie jung Wladimir und Estragon plötzlich sind! Und wie kreuzfidel über weite Strecken! Stellenweise haben die ja sogar Spaß am Leben, einfach so. Und man hat das Gefühl, sie haben bis kurz vor Schluß, trotz Prostataschwierigkeiten, trotz Erinnerungslücken, noch Hoffnung. Als wüßten sie noch gar nicht, was doch heutzutage jedes Kind, vor allem aber jeder Theatergänger und auf jeden Fall jeder Regisseur weiß: daß Godot nicht kommen wird, daß die beiden warten müssen, bis sie schwarz sind.
Ulrich Bähnk als Wladimir und Nils-Daniel Finckh als Estragon nehmen ihren Rollen jedes existentialistische Endzeit-Pathos. Reine, naive Toren sind sie, von der Last der Verantwortung Stück und Weltliteratur gegenüber nicht gebeugt. Estragon blickt mit weit aufgerissenen Augen gleichmütig in die Zukunft, komme, was da wolle. Und Wladimirs tumbes Mienenspiel ist stets bereit, ins Mütterlich-Fürsorgliche zu nuancieren. Natürlich sind die beiden auch Clowns auf Urlaub, vor allem aber sind sie ein rührend anzusehendes Paar, das sich vor dem Alleinsein fürchtet und deshalb fürsorglich, ja zärtlich miteinander umgeht.
Merkwürdig, wie wenig Roethel als Regisseur hervorzutreten braucht, damit seine Inszenierung funktioniert. Da prunken keine Regieeinfälle, glänzt keine neue Lesart. Roethel hat seinen Darstellern vertraut und Becketts Sprache. Das ist alles. Es klappt.
Alles ist anders? Nein, das nun doch nicht. Die Pozzo-Lucky-Auftritte sind ein bißchen geschunden. Und das Bühnenbild ist, nun ja funktional. Aber das stört kaum. Man sollte mal wieder ins Theater im Zimmer gehen. Als nächstes übrigens steht Werner Schwabs PornoGeographie als deutsche Erstaufführung auf dem Spielplan. Mut haben sie. Dirk Knipphals
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