: Arme Barbara Hendricks
■ Intonationsschwierigkeiten dritten Grades in der Musikhalle
Ausverkauft war die Musikhalle am Freitag, als die Sopranistin Barbara Hendricks angekündigt war. Doch zunächst hieß es: warten und klatschen über zwei Stücke, dargebracht vom New European Strings Chamber Orchestra und dem Violinisten Dmitry Sitkovetsky.
Zuerst klatschten die Leute über ein Violinkonzert von Joseph Haydn. Der Solist krächzte auf seinem Instrument und spielte unbeabsichtigt mehrstimmig. Im Allegro bewies er Sinn für Humor: Er drückte die „Vorlauf“-Taste, so daß Haydns Musik eine Bugs-Bunny-Stimmung erzeugte.
Doch es kam noch schlimmer. Als nächstes klatschten die Leute über einen wundersamen Schubert. Selten hat man so viele falsche Töne hintereinander gehört wie in dieser Interpretation des Rondo A-Dur D 438. Sitkovetsky bemühte sich nebenbei redlich, das Ensemble zu einer Zigeunerkapelle umzufunktionieren. Wenn Schubert ein trockener Weißwein wäre, dann war das ein Rosenthaler Kadarkha für 2 Mark 85.
Und dann der Höhepunkt: ein Skandal. Das Orchester war außerstande, Brittens Musik wenigstens fehlerfrei herunterzuspielen. Arme Barbara Hendricks: Sie hätte auch allein auftreten können. Das Ensemble hinkte wie ein Schülerorchester hinterher, dann spielte der Baß falsch (solo), dann spielte das Cello falsch (solo), nicht mal ein Flageolett-Spiel konnten sie gemeinschaftlich meistern, ohne den Fluß zu unterbrechen. Ihrem Dirigenten (Sitkovetsky hatte die Geige beiseite gelegt und sich umgedreht) folgten sie sowieso nicht.
Und Barbara Hendricks, wie schaffte sie es, ohne eine böse Miene zu singen? Als die Amerikanerin in schrill pinkfarbenem, weit ausladenden Kleid auf die Bühne trat, gehörte der ganze Raum ihr. Unbeeindruckt vom Orchester hinter ihrem Rücken, verzauberte sie ihr Publikum mit einer weichen, wie von fern klingenden Sopranstimme. Die zarten Illuminations op.18 von Benjamin Britten sind ein Geheimtip: Die musikalischen Mittel sind sparsam eingesetzt, Stimme und Orchester spielen wechselseitig mit einem kleinen, seichten Entfernen voneinander durch chromatische Schritte. Ihr Gesang – vertonte französische Gedichte – schaffte es, die Atmosphäre Rimbauds in die Musikhalle zu locken. Aber erst in der Zugabe – ein Rachmaninoff, den das Ensemble zur Abwechslung gut spielte – konnte sie sich stimmlich ganz entfalten.
Und dann war sie schon wieder weg. Übrig blieb das Orchester mit einem von Sitkovetsky arrangierten Schostakowitsch, der weit in die Ferne hingehaucht ausklang. Die letzten 20 Takte waren die schönsten.
Gabriela Wittmann
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