: „Kreuzworträtsel lösen wir auch“
■ . Frerk Möller vom Institut für Niederdeutsche Sprache öffnet die Fenster im Schnorr
Seit 1973 versucht das Institut für niederdeutsche Sprache, stilecht ansässig in zwei pittoresken Häuschen im Schnoor, alle Fragen zum Thema Platt zu beantworten. Aber nicht nur das: Aufgabe des Institutes ist die Pflege und Förderung der niederdeutschen Sprache, Literatur und Kultur. Vier Mitarbeiter sind dafür, manchmal sogar bis in die Nacht, ansprechbar. Der neue Mann im Institut ist Frerk Möller. Er löst den bisherigen Geschäftsstellenleiter Ulf-Thomas Lesle ab – mit neuem Schwung und viel Überstunden.
taz: Die Immobilie im Schnoor 41 gehört dem Brinkmann-Konzern. Sind Sie verpflichtet zu rauchen?
Frerk Möller:Nein. Aber Herr Lesle und Claus Schuppenhauer, die das Institut wissenschaftlich leiten, und ich rauchen.
Man riecht es aber nicht.
Wir lüften viel. Viel Wind bei der Arbeit, das ist immer ganz gut.
Seit Mitte April legen Sie sich hier fürs Niederdeutsche ins Zeug. Ihre Neigung kam aber nicht von heute auf morgen...
An der Universität Kiel habe ich bis zum Examen als Hiwi an verschiedenen Projekten zur sprachlichen Wirklichkeit des Niederdeutschen mitgearbeitet, in der Soziologie und in der Germanistik. Dann war ich ein Jahr lang am Institut für Soziologie in der Katastrophenforschungsstelle, was ja unmittelbar nicht zum Niederdeutschen paßt...
Oder doch?
(lacht)Gar nicht, aber das war auch rasend interessant. Was mich interessiert hat an den Lebenswelten des Mittelalters: Warum sind die Häuser so klein? Weil die Leute kleiner waren. Was haben sie getrunken und gegessen? Und dann habe ich empirische Projekte gemacht: Wo sprechen Menschen noch Niederdeutsch? Was sind das für Menschen? Warum sprechen sie Niederdeutsch?
Laut einer Studie der Gesellschaft für angewandte Sozialpsychologie (GETAS) von 1984 sind 60 Prozent der Bremer Bevölkerung fähig, aktiv platt zu sprechen. Kommt Ihnen das nicht etwas viel vor?
Es ging in dieser – sehr seriösen – Studie um die Beherrschung des Deutschen nach Selbsteinschätzung. Die Sprachkompetenz ist allerdings unterschiedlich zum tatsächlichen Sprachgebrauch: Obwohl Sie sehr gut platt sprechen mögen, kann es sein, daß Sie selten sprechen, weil Sie keine Platt-Gesprächspartner haben. Was das Verstehen betrifft, erreichen die Zahlen astronomische Höhen: Fast jeder versteht Platt sehr gut.
Tatsächlich? Ich wurde als Nicht-Plattsprecher gewarnt, ins Waldau-Theater zu gehen...
In der Theatersprache ist eine mehr oder weniger normierte Form des Plattdeutschen üblich. Ohnsorg versteht jeder, Waldau unter Umständen nicht.
Ohnsorg spricht nivelliertes Platt?
In der Fernsehversion. Die machen auch andere Sachen, aber bei einem so guten Sendeplatz muß das rezipientenorientiert aufgebaut sein.
Jüngere Leute schätzen die Ohnsorg-Dramolette weniger. Was hat das Niederdeutsche denen noch zu sagen, in einer standardsprachlich dominierten Gesellschaft?
Neugierde ist doch immer wieder das Movens, sich für eine Sprache zu interessieren. Dann greife ich zum Originaltext, etwa zum „Reineke Fuchs“ oder zum „Narrenschiff“ von Sebastian Brant...
Aber das ist doch eine kleine Minderheit.
Minderheitenverhältnisse ändern sich. Wann kippt ein Fließgleichgewicht? Mir scheint, daß im Augenblick das Platt verstärkt kulturellen Mehrwert verheißt. In den 70er Jahren gab es schon einen Boom mit der Dialektwelle. Jetzt findet eine starke Gebrauchsorientierung statt.
Woran kann das liegen?
Möglicherweise sollen so zentrale Unsicherheiten – in der Familie, am Arbeitsplatz – kompensiert werden. Oder es sind rein literarische Gründe. Oder es liegt an der kommunikativen Reichweite: In meinem Schrebergarten treffe ich immer Leute, die Platt reden, und ich kann das nicht...
Was ist mit dem Image des Plattdeutschen als Sprache der Minderbemittelten?
„Du sprichst mir kein Plattdeutsch!“ Die Zeiten der sozialen Stigmatisierung sind vorbei. Das Niederdeutsche hat einen entwickelten Medienüberbau. Gerade die jüngern Eltern sprechen verstärkt Plattdeutsch mit den Kindern. Man tut es wieder...
Aus modischen Gründen...
Jau...ein Bereich, der nicht zu vernachlässigen ist.
Was macht das Institut außer vielen Überstunden mit seiner halben Million Jahresetat, um die Nachfrage nach Niederdeutschem zu befriedigen?
Zum Beispiel Radionachrichten. Als Radio Bremen letzte Woche seinen „Radiophonen Tag“ gehabt hat, wurden die Nachrichten in Platt direkt aus dem Institut gesendet. Normalerweise werden uns die Nachrichten im Studio auf Hochdeutsch vorgelegt, dann sofort von einem von uns dreien akribisch übersetzt und zweimal in der Woche gesendet. Nachlässe müssen aufgearbeitet werden, wir haben eine Präsenzbibliothek von 13.000 Bänden unten im Haus. Organisation von Tagungen, Rezensionen, Nachfragen von politischer Seite kommen an. Das tägliche Brot ist, daß jemand anruft und in einem Kreuzworträtsel einen Begriff, der typisch für Bremen ist, sucht. Oder jemand will wissen, wer „Pippi Langstrumpf“ auf Plattdeutsch vertont hat.
Wissenschaftliche Systematik oder praktische Dienstleistung: Was ist wichtiger?
Bei uns kann jeder alles, das ist das Faszinierende. Die Dienstleistung halten wir aber sehr hoch. Viele Dinge, die wir hier machen, dauern sowieso so lange, die können dann auch noch länger liegenbleiben. Und wenn eine Frage kommt, die wir nicht beantworten können, dann wollen wir's erst recht gern wissen.
Viele Menschen wissen gar nicht, daß es das Institut gibt. Wie wollen Sie das ändern?
Ich möchte zum Beispiel rasend gerne in den Offenen Kanal. Wir haben Projekte, auf die wir immer wieder angesprochen werden. Aber es fehlt uns die personelle Polsterdecke. Da müssem wir dann sagen: Das finden wir schön und reden morgen nochmal drüber.
INS, Im Schnoor 41, Tel. 32 45 35, Mo-Do 8-16.30, Fr 8-15.30
Fragen: Alexander Musik
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