■ Im Wortlaut
: Pinkeln erst bei Ablösung möglich

Der 46jährige Willi Wolff fertigt an der U-Bahnstation Mitte im Vierschichtsystem Züge ab. In den wenigen Minuten zwischen den U- Bahnen zieht sich der stille Mann in sein etwa drei Quadratmeter großes Aufenthaltshäuschen zurück. Dort kann er kurz an der Zigarette ziehen oder am Kaffee nippen. Zeit, einen Gedanken zu Ende zu denken oder einen Zeitungsartikel in einem Durchgang zu lesen, hat er nicht.

Ich beobachte die U-Bahn beim Einfahren und die Fahrgäste, daß keiner davorspringt. Bis zur Abfahrt beobachte ich die Signale und nach dem Fahrgastwechsel lasse ich die U-Bahn abfahren. Zwischen den einzelnen Zügen muß ich den Bahnsteig beobachten und Fahrgäste informieren. Man muß den gesamten Streckenplan, die Verbindungen, Straßen und Sehenswürdigkeiten kennen.

Die Arbeit ist ganz schön stressig, weil man ja nie weiß, was ist. Nachts muß ich auch die Grobreinigung des Bahnsteigs übernehmen. Bei Gleisbettarbeiten in der Nacht muß ich die Sicherheit gewährleisten und Kontrollgänge auf dem Bahnsteig durchführen. Langeweile habe ich also hier nicht. Trotzdem arbeite ich lieber am Tage, da vergeht die Zeit schneller.

Es kann immer passieren, daß einer lebensmüde ist und vor die U-Bahn springt. Deshalb muß ich viel beobachten und gegebenenfalls rechtzeitig einwirken. Doch gefeit ist keiner davor, wenn sich einer das Leben nehmen will. Ich stand selbst schon einmal kurz davor, mich vor die U-Bahn zu werfen. Als meine Frau 1990 bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam. Aber meine zwei Kinder haben mir Kraft gegeben. Seitdem meine Frau totgefahren ist, habe ich kein Fahrzeug mehr und fahre nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Für Hobbys bleibt mir nicht viel Zeit. Ich kümmere mich um die Kindern und die Vierzimmerwohnung.

Wenn ich hier auf dem Gleisgang auf Toilette gehen will, muß ich beim Verkehrsmeister anrufen und warten, bis eine Ablösung kommt. Entweder kommt der Verkehrsmeister selbst, oder er holt eine Reserve. Es passiert öfter, daß ich eine halbe Stunde und länger warten muß, bis jemand kommt. Genauso muß ich nach Feierabend warten, bis die Ablösung kommt. Aber ich bin das gewöhnt. Früher, bei der BVB, wo ich als Zugabfertiger und Schaffner im Kontrolldienst gearbeitet habe, haben wir bis 120 Überstunden im Monat gemacht. Die ganzen Beschwerden über die Berliner Verkehrsbetriebe sind übertrieben. Man kann ja nicht in jedem U-Bahnwagen ständig sauber machen. Aufgeschrieben und fotografiert

von Barbara Bollwahn

wird fortgesetzt