Kurden werden in der U-Bahn bedroht

■ Junge Türken, die Halsketten mit dem Symbol der Grauen Wölfe tragen, drohen, Kurden zusammenzuschlagen / Viele Kurden meiden derzeit die U-Bahn / Warnung vor Eskalation

„Wir suchen Kurden! Die werden wir fertigmachen!“ riefen die jungen Männer auf türkisch durch den U-Bahn-Wagen. Und: „Tod der PKK.“ Dies berichteten an die zwanzig Anrufer, die sich in diesen Tagen besorgt beim Kurdischen Kulturzentrum in der Dresdner Straße meldeten. Die Männer zwischen 18 und 30 Jahren, die in Gruppen von fünf bis zehn Mann, vor allem um die U-Bahnhöfe Leopoldplatz in Wedding und Herrmannplatz in Neukölln aufgetaucht seien, hätten Halsketten mit dem Zeichen der rechtsextremistischen Grauen Wölfe getragen. Viele Kurden würden es derzeit vermeiden, U-Bahn zu fahren, weil sie sich bedroht fühlten, hieß es. Wer als Kurde bekannt sei, müsse damit rechnen, zusammengeschlagen zu werden. Eine Reihe von Vorkommnissen in den letzten Wochen deutet darauf hin, daß die Spannungen zwischen Kurden und Türken zunehmen. Als die türkische Nationalmannschaft vor fünf Wochen das Europameisterschafts-Qualifikationsspiel gegen Ungarn gewann, fuhren Fußballfans im Autokorso durch Kreuzberg. Unter minutenlangem Hupen schwenkten sie türkische Fahnen, einige machten das Handzeichen der Grauen Wölfe. Am Kottbusser Tor provozierten sie Besucher eines kurdischen Lokals. „Die Türkei gehört den Türken“, riefen sie.

Als am vergangenen Freitagabend die Polizei in einer Großaktion das Deutsch-Kurdische Kulturzentrum in der Zossener Straße durchsuchte, sichteten Besucher des Zentrums danach rund sechzig Jugendliche im U-Bahnhof Gneisenaustraße, die „Kurden jagen“ wollten.

Bei einem Straßenfest in der Kreuzberger Wrangelstraße wollten vor kurzem drei türkische Jugendliche Kurden verprügeln, die sie für PKK-Anhänger hielten. Dies konnte nur durch das Eingreifen ihrer Eltern abgewendet werden. „Wenn es so weitergeht, dann kann es zu gefährlichen Auseinandersetzungen kommen“, warnt Riza Baran, bündnisgrüner Direktkandidat in Kreuzberg. Er ruft dazu auf, daß sich türkische und kurdische Vereine an einen Tisch setzen und beraten, wie sie der Entwicklung entgegenwirken können.

Zwischen türkischen und kurdischen Jugendlichen ist es in den letzten Jahren zu einer „krassen Trennung“ gekommen, stellt eine Mitarbeiterin des Kurdistan Kultur- und Hilfsvereins in Neukölln fest. In Schulen komme es immer wieder zu Auseinandersetzungen. „Sobald sich ein Schüler zu seiner kurdischen Identität bekennt, werden die türkischen Mitschüler aggressiv.“ Sie beobachtet, daß sich die Jugendlichen zunehmend in kleinen Gruppen zusammenschließen, um sich zu wehren.

Die Zuflucht in eine nationalistische Identität gleich welcher Couleur wird durch eine verfehlte Integrationspolitik verstärkt, meint Kenan Kolat vom Türkischen Bund. Jeder dritte Jugendliche mit türkischem Paß verläßt die Schule ohne Abschluß. Jeder fünfte findet keine Lehrstelle. Die Zuwendung zu einer nationalistischen Identität entspringe dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit.

„Die Grauen Wölfe nutzen den Konflikt zwischen Türken und Kurden, um Anhänger zu gewinnen“, meint die Mitarbeiterin des Kurdistan-Kulturvereins. Vertreter von Immigrantenorganisationen schätzen aber übereinstimmend, daß der überwiegende Teil der Jugendlichen, die Symbole der Grauen Wölfe tragen, keinen rechtsextremen Hintergrund haben. Riza Baran, der als Lehrer arbeitet, stellte fest: „Wenn man Schüler fragt, die im Unterricht das Symbol der Grauen Wölfe in ihr Heft kritzeln, wissen sie gar nicht, was das bedeutet.“ Dorothee Winden