: Noch länger die Beine in den Bauch stehen
■ Bringt ihnen der liberale Ladenschluß die besseren Geschäfte? Türkische Kleinhändler haben ihre Zweifel
Aydin Cayirli steckt den Schlüssel ins Schloß. Es ist kurz vor 19 Uhr. Für den türkischen Gemüsehändler im Viertel ist noch lange nicht Feierabend. Er wird auch weiterhin Kisten schieben und Kunden bedienen, die an die Ladentür klopfen. „Das ist ganz schön anstrengend“, sagt Cayirli. Wenn ab 1. November dann alle Läden länger öffnen dürfen, sieht er noch mehr Selbstausbeutung auf sich zu- kommen. Dann steht er permanent werktags bis 20 Uhr im Laden, am Samstag bis 16 Uhr – so wurde es Freitag in Bonn beschlossen.
Cayirli blickt sorgenvoll auf seine beiden Söhne, die an der Theke Fladenbrote einsortieren: „Der neue Ladenschluß ist für uns eine Katastrophe.“ Seit zehn Jahren schufte seine ganze Familie im Geschäft. Für sie ist der Laden die einzige Chance, sich hier in Deutschland über Wasser zu halten: „Wir arbeiten von früh morgens bis spät am Abend, und Urlaub ist für uns nie drin“, klagt der große Mann. Länger öffnen würde jedoch in seinen Augen nur einen Verlust bedeuten: Die BremerInnen würden doch dann sowieso im Großmarkt einkaufen, wenn sie bis 20 Uhr Zeit hätten. „Und wir stehen uns die Beine in den Bauch.“
Eine solche Aussage hätte wohl Matthias Güldner nicht erwartet. Der Referent für Ausländerintegration im Sozialressort von Senatorin Tine Wischer hatte Anfang des Jahres den liberalen Ladenschluß zur Chance für viele ausländische Ladenbetreiber erklärt und ihn propagiert. In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit hätten Ausländer immer weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Nur im Handel und Dienstleistungsbereich fänden sie ihre Nischen. Viele von ihnen hätten schon lange längere Öffnungszeiten gefordert, um neben den Billigmarktketten bestehen zu können.
Was Ladenbesitzer Aydin Cayirli jedoch ablehnt, sieht Aylan Desirel schon optimistischer: Er sitzt im Eckladen an der Helenenstraße und trinkt türkischen Tee. Lange war seine Frau arbeitslos, und er malochte bei Mercedes. Seit sechs Monaten gehört der Laden ihm, neben dem Obst- und Gemüseverkauf will er noch eine Schlachterei einrichten. In Ankara, so der 38jährige, kann jeder einkaufen, wann er will. Hier ist ab 18.30 Uhr „tote Hose. Die Deutschen sollen mal beweglicher werden.“ Sieht er in der längeren Öffnungszeit seine große Chance? „Das nicht, aber ich probier's einfach aus“, sagt er. Seine Stammkundschaft werde ihn sicher nicht im Stich lassen.
Auch Fahri Oezmen setzt auf seine Stammkunden am Fesenfeld, etwas weiter vom Viertel entfernt. Die sitzen aber samstags schon um 13 Uhr zu Hause am Mittagstisch. „Sie sind an diese Öffnungszeiten gewöhnt“, sagt er. Sie würden wohl auch nicht mehr kaufen, wenn er länger im Laden stehe. Er habe „einfach keine Lust“, länger zu arbeiten, wenn sich das gar nicht lohnt.
Mittlerweile ist es 14 Uhr, Fahri will endlich nach Hause. Wenn ab 1. November die ersten Läden länger öffnen, sitzt er gemütlich mit Freunden zusammen und klönt – das weiß er schon jetzt. Von Untergangsstimmung ist bei ihm keine Spur. Fahri setzt auf Gelassenheit, denn eine Familie hat er nicht zu ernähren.
Für seinen Kollegen Cayirli von „Bazar a la turca“ aber ist ab Herbst vielleicht harte Arbeit angesagt. Noch weiß der 50jährige mit Frau und drei Söhnen nicht, ob ihm seine KundInnen auch weiterhin treu bleiben. In Istanbul, seiner Heimatstadt, so weiß Cayirli, sind die Händler schon jetzt noch schlimmer dran. Sie arbeiten bis spät in die Nacht, um mit der Konkurrenz Schritt zu halten. „Ich weiß nicht, ob wir das überleben könnten“, sagt er. Katja Ubben
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