: Spuren, die nicht interessieren
Der Brandanschlag von Lübeck: Wie die Staatsanwaltschaft Widersprüche glattbügelt und Hinweise in die rechte Szene nicht weiter verfolgt. Es ist fraglich, ob Safwan Eid der Täter sein kann ■ Aus Hamburg Marco Carini
Konkrete Fragen zu den Ermittlungen über den Lübecker Brandanschlag mag der zuständige Oberstaatsanwalt Klaus Dieter Schultz nicht beantworten. Statt dessen verliert er sich in Floskeln. „Nach allen Seiten ermittelt“ habe seine Behörde, von „Rechtsblindheit“ könne „keine Rede“ sein. Die Kritik an den Ermittlern ist für ihn „ich will es vorsichtig formulieren – nicht mehr nachvollziehbar“. Er sieht „keine Veranlassung“, die Ermittlungen gegen vier Jugendliche aus Mecklenburg, die in der Tatnacht mehrfach in der Nähe des Brandorts gesichtet worden waren, wiederaufzunehmen. Diese Spur sei längst „abgearbeitet“. Punkt.
Warum das so sein soll, weiß vermutlich nur die Lübecker Staatsanwaltschaft. Dieses Geheimnis hütet sie wie ihren Augapfel. Denn das, was von den Ermittlungen gegen die vier Jugendlichen, die nachweislich Verbindungen zur rechten Szene hatten, bekanntgeworden ist, wirft mehr Fragen auf als beantwortet werden. Wo immer sich Widersprüche auftaten, wurde nicht weiter ermittelt. Woher kommen etwa die Brandspuren an den Haaren der kurze Zeit Verdächtigten, die am Tag nach dem Brand festgestellt wurden? Einer der Jugendlichen will einen Hund angezündet haben, die Staatsanwaltschaft mutmaßt, die Verdächtigen hätten womöglich ein gestohlenes Auto ausgeschlachtet und anschließend in Brand gesetzt. Weder Tier noch Fahrzeug wurden je gefunden.
Die Verdächtigen hätten ein hieb- und stichfestes Alibi, hat die Staatsanwaltschaft immer wieder auf die Frage geantwortet, warum gegen die vier nicht weiter ermittelt wird. Zur von der Staatsanwaltschaft angenommenen Tatzeit, genauer: um 3.15 Uhr wurden sie an einer 6 Kilometer vom Brandort entfernten Tankstelle von einer Polizeistreife gesehen. Auch um 3.19 Uhr, wären sie – das soll der Kassenbon beweisen – noch dort gewesen. Ob die Kassenuhr richtig tickte, wurde nie geprüft. Das dürfte jetzt auch nicht mehr notwendig sein.
Anders als von den Staatsanwälten behauptet steht „die Brandausbruchszeit nicht fest“. Das hat vor einer Woche das Lübecker Landgericht erklärt. Seither gibt es kein Alibi mehr. Aber Spuren, die in die rechte Szene führen. Eine führt zu dem 18jährigen Skinhead Maik W., einer der vier vorläufig Festgenommenen, den seine Freunde nur „Klein Adolf“ nennen. Er hatte im Januar einem Bekannten anvertraut, daß er „in Lübeck etwas anzünden“ wolle.
Hatte Maik W. auch – und das schon vor der Brandnacht – Kontakte zu Jens L., dem späteren Hauptbelastungszeugen gegen Safwan Eid? Der Rettungssanitäter will von dem Libanesen noch in der Brandnacht das Geständnis „Wir waren es“ gehört haben.
Zwei Monate vor dem Brandanschlag mußte der junge Skinhead das Zimmer einer betreuten Jugendwohnung in der Nähe von Rostock räumen. Beim Aufräumen finden seine Betreuer in den von ihm zurückgelassenen Unterlagen den Namen von L. Der mehrfach vorbestrafte Maik W. wird später im Rahmen der Vernehmungen behaupten, der L. aus seinem Notizbuch sei nicht der Sanitäter. Es sei möglicherweise ein namensgleicher Polizist, mit dem er einmal im Verlauf seiner kriminellen Karriere zu tun hatte. Beweisen kann er das nicht. Doch die Staatsanwaltschaft gab sich mit der Erklärung zufrieden. Seit letztem Donnerstag gibt es aber auch hier eine neue Spur: Die Grevesmühlerin Kerstin B., bei der Maik W. im Winter einige Wochen wohnte, fand in den zurückgelassenen Aufzeichnungen des jungen Skins nicht nur den Namen von Jens L., sondern auch die Namen von André B. und Mike E. Zwei namensgleiche Männer waren im vergangenen Oktober von Safwan Eid und einem seiner Brüder gestellt worden, als sie sich vor dem Flüchtlingsheim an dem Auto der libanesischen Familie zu schaffen machten. Liegt hier ein mögliches Motiv für den Brandanschlag verborgen?
Mysteriös bleibt auch die Rolle von Matthias H., der mit Jens L. befreundet ist und in der Brandnacht ebenfalls als Sanitäter vor Ort war. „Es gibt keinerlei Hinweise darauf, daß Matthias H. den Sanitäter L. gedrängt haben könnte, den Beschuldigten Safwan E. zu Unrecht zu belasten“, interpretiert Staatsanwalt Schultz die Aktenlage. Eine Aktenlage, aus der hervorgeht, daß Jens L. nicht aus freien Stücken zur Polizei ging. Daß Matthias H. telefonisch den Kontakt zu den Ermittlern herstellte, nachdem die vorläufige Festnahme der vier Tatverdächtigen aus Grevesmühlen bekanntgeworden war.
Warum wurde Matthias H. aktiv? Auch hier wurde von der Staatsanwaltschaft nicht weiter ermittelt. Es ist die Verteidigung, die Belege für eine rechtsextreme Vergangenheit von Matthias H. und damit ein mögliches Motiv für das von ihm geführte Anbahnungsgespräch mit der Polizei gibt. Ende der achtziger Jahre wurde der Spind des damals noch minderjährigen Mitarbeiters des Malteser-Hilfsdiensts, Matthias H., durchsucht, der in Diebstahlverdacht geraten war. Bei der Durchsuchung wurde rechtsextremes Propagandamaterial und Protokollpapiere über den Aufbau einer Wehrsportgruppe in Lübeck gefunden. Die Staatsanwaltschaft bestreitet das nicht. Aber sie zieht sich darauf zurück, daß „Kontakte des Zeugen Matthias H. zu einem der vier jungen Männer ... zur Zeit nicht belegbar“ seien. Daneben gibt es – zumindest – Hinweise auf mögliche Absprachen zwischen Matthias H. und Jens L. Der Sanitäter behauptet unmittelbar nach der Tat, Safwan Eid habe sich ihm gegenüber erst auf der Fahrt im Krankentransporter selbst belastet. Matthias H. sagt hingegen aus, schon am Brandort habe ihm L. von dem Geständnis des Libanesen berichtet. Als ihm dieser Widerspruch später von den Ermittlern vorgehalten wird, kann sich Matthias H. an den Zeitpunkt des Gesprächs mit Jens L. nicht mehr genau erinnern.
Nur diese Aussage zählt heute für den Staatsanwalt Klaus-Dieter Schultz. Und auch Jens L. korrigiert in einer Nachvernehmung erst am 31. Mai seine ursprünglichen Angaben, synchronisiert sie mit der Erstaussage von Matthias H.: Nun ist auch er sich plötzlich nicht mehr sicher, ob Safwan Eid doch vielleicht schon am Brandort erstmals die Worte „Wir waren es“ gesagt hat. Daß enge Kontakte zwischen Matthias H. und Jens L. bestehen, ist bekannt. Nach Informationen der taz befinden sich beide zur Zeit gemeinsam im Urlaub. Den Ankläger Schultz interessiert das alles nicht. Seit das Hauptverfahren gegen Eid – auch ohne „dringenden Tatverdacht“ – eröffnet wurde, darf sich sein Blick wieder auf Eid konzentrieren.
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