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Gefühlschaos einer Verführung

■ Neil Young und Bob Dylan erklärten den Unterschied von Rock-Entmüdung und Nostalgie

Ein No-Cost-Mini-Road-Movie von Wim Wenders, bevor er Wim Wenders war, drehte sich um den Streit, welche Version von „All Along The Watchtower“ die bessere sei: die von Hendrix oder die von Dylan selber. Dreißig Jahre später läßt sich diese Frage eindeutig beantworten, denn das Vier-Töne-Gegniedel, das Dylan auf seiner Stratocaster als solistische Bereicherung des Songs ausgibt, kann jeder zweite Träger eines Harley-Davidson-T-Shirts in seinem Publikum mit mehr Leben füllen.

Überhaupt gibt es mit Sicherheit Millionen Bands auf dieser Welt, die Dylan-Songs besser spielen als der Meister selbst – sie können diese eben nur nicht so singen. Doch da Dylan sich leider nicht selber covern kann, rollt er seinen Stein durch die Welt vor sich her und wirbelt dabei nur etwas Achtung vor einem großen Songschreiber auf, dem seine Last die Sicht auf die Gegenwart versperrt hat.

Rührend ist es zu sehen, wie sich in seinem Publikum die letzten deutschen Land-WGs gegenseitig liebenvoll in die Bierbäuche unter ärmellosen T-Shirts und Lederwesten rammen, weil sie irgendeine nette Erinnerung aus der Zeit teilen, als sie mal jung waren, oder aus der Landkneipe, wo die Dylan-Cassette immer noch über die alten Braun-Boxen rauscht.

Dylans wahre Bedeutung am Ende dieses Jahrhunderts bemißt seine Konzertagentur, die ihn als Legende zum halben Preis auf die Bühne schickte, in Punktgröße: Sein ganzer Name paßt auf den Eintrittskarten locker in das „Crazy“ von Neil Young & Crazy Horse und ist noch kleiner gedruckt als die Sponsoren des Minifestivals.

So abwesend Hendrix' Geist bei Dylan blieb, so präsent war seine Erscheinung beim Auftritt jenes Mannes, der eigentlich die 22.000 Menschen nach Bahrenfeld gelockt hatte: Sichtbar auf dem T-Shirt des Gitarristen, aber noch viel deutlicher in einer Erinnerung. Denn es war der riesig vergrößerte Jimi-Button am Gitarren-Gurt von Neil Young auf der Rückseite des 79er-Albums Live Rust, der dem damaligen Rock-Ereignis, von dem es auch einen Film gibt, den Stempel des Spiritus rector aufdrückte. Und das 1996er-Konzert blieb zu mindestens 80 Prozent eine ziemlich originalgetreue Reproduktion der Konzerte von vor 17 Jahren.

Vom Sound bis hin zur Stückabfolge orientierten sich die wiedervereinigten Wildpferde auf der Trabrennbahn bis zum Nostalgie-Anschlag an ihrem glorreichen Live-Orgasmus, der damals sogar manchen Punk packen wollte. Nur drei Stücke aus den letzten zwei Dekaden fanden den Weg ins Set, „Rockin' In The Free World“ schließlich als Zugabe mit humorvoll ausufernder Psycheldelic-Entmüdung.

Dennoch stürzte Young im Gegensatz zu Dylan noch den härtesten Anti-Nostalgiker in das emotionale Chaos einer Verführung. Denn der alte Rock-Farmer und seine Freaks zappelten, hüpften und freuten sich an ihrer Musik, schüttelten die schütteren Haare, als seien sie der Hauptakt eines Erntedankfestes in Alabama, und gaben ihren weit vergreisteren Fans die Botschaft mit auf den Weg: Opi can jump!

So wollen wir unsere verdienten Rock-Veteranen haben: fähig zu beweisen, daß alte Werte nicht zwangsläufig nur was für alte Menschen sind. Wie wohl Hendrix heute auf der Bühne ausgesehen hätte?

Till Briegleb

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