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Kein Pardon für die Gralshüter

Hart ins Gericht gehen zwei Bücher, die die Skandale in der mächtigsten Sportorganisation nachzeichnen, mit dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und seinem großen Boß Juan Antonio Samaranch  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) – „Eine Mafia aus Grafen, Prinzen, Millionären und Weißen“, nannte Fidel Castro das IOC, als er noch nicht in Barcelona neben dessen Präsidenten Juan Antonio Samaranch auf der Ehrentribüne gesessen hatte. Daß der aufrechte Boykotteur der Olympischen Spiele von Los Angeles und Seoul so falsch nicht gelegen hat, belegen in anschaulicher und spannender Weise zwei Bücher, die sich mit jenen zumeist männlichen Wesen befassen, die gern als „Gralshüter“ der olympischen Bewegung bezeichnet werden – ein reichlich verharmlosender Ausdruck.

Der Brite Andrew Jennings liebt die kraftvolle Sprache und hätte auch als Textdichter der autonomen Olympiabewegung von Berlin durchgehen können, wenn er Sätze formuliert, die folgendermaßen klingen: „Die Bewegung wird angeführt von einer im verborgenen operierenden Clique vorwiegend alter Männer, die dank der olympischen Gewinne ein Leben in Saus und Braus führen“ und sich „hinter verschlossenen Türen“ treffen, „wo sie die Beute aufteilen, den Baronen der Sportwelt den Rang streitig machen und sich auch gegenseitig bekämpfen“.

Nun weiß spätestens seit der schmutzigen Bewerbungsschlacht um die Sommerspiele des Jahres 2000 alle Welt, daß es sich bei den IOC-Mitgliedern zu einem großen Teil um genußsüchtige und geldgierige Menschen handelt, die jede Mark und jeden Hummerschwanz mitnehmen, ohne auch nur danke zu sagen, um am Ende doch so abzustimmen, wie es ihr Boß wünscht. Über diesen wiederum ist sattsam bekannt, daß es sich um einen „alten Karrierefaschisten“ handelt, „der keine Reue kennt und noch vor etwas mehr als zwanzig Jahren mit erhobenem rechten Arm grüßte, bis sein geliebter Diktator starb und dieser Gruß aus der Mode kam“ (Jennings). Auch daß der olympische Geist längst daraus besteht, mit seiner Hilfe möglichst viel Geld zu verdienen, dürfte der letzte Idealist gemerkt haben. Dennoch ist es äußerst informativ, partiell vergnüglich und partiell empörend, detailliert nachzulesen, wie die olympische Geldmaschine funktioniert.

Andrew Jennings in seinem Buch „Das Olympia-Kartell“ und die beiden deutschen Journalisten Thomas Kistner und Jens Weinreich in ihrem edler aufgemachten Opus „Muskelspiele“ haben eine Fülle von Material zusammengetragen, das einem teilweise den Atem stocken läßt, selbst wenn man vieles schon wußte, manches ahnte, anderes dafür kaum für möglich gehalten hätte.

Jennings hatte bereits mit seinem letzten Buch „Geld, Macht und Doping“, das er gemeinsam mit Vyv Simson verfaßte, den geballten Zorn des Juan Antonio Samaranch erregt. Mit allen Mitteln ging der Chefolympier gegen die Journalisten vor und erreichte es tatsächlich, daß die beiden Autoren von einem willfährigen Gericht in Lausanne wegen Verleumdung zu fünf Tagen Haft verurteilt wurden. Akkreditierungen für IOC- Veranstaltungen bekommt Jennings schon lange nicht mehr, zum Hauptsitz des IOC reist er aus Abneigung gegen Schweizer Gefängniszellen auch nicht, dennoch schlug er mit seinem neuen Buch unbarmherzig zurück. Kaum einen Skandal der jüngeren olympischen Geschichte, ob Bestechung, Doping, Erpressung oder Rufmord, läßt er aus.

Die dankbarsten Quellen für Enthüllungsjournalismus in Sachen Olympia stellen die vor dem Reißwolf geretteten Aufzeichnungen der für die Stasi tätigen DDR- Funktionäre dar. Jennings zitiert ausführlich aus der Akte des IM „Möwe“, die auch der heute erschienene Spiegel als Grundlage für seine Geschichte über angebliche Verwicklungen von IOC-Mitglied Thomas Bach in unsaubere Machenschaften benutzt (siehe Portrait auf Seite 12).

Als Karl-Heinz Wehr war und ist „Möwe“ Generalsekretär des Internationalen Amateurboxverbandes, und er berichtete seinen Vorgesetzten unter anderem von den zwielichtigen Aktivitäten des Verbandspräsidenten Anwar Chowdhry, der selbst manchen IOC-Mitgliedern eine Spur zu dreist ist. An der Inthronisation des willfährigen adidas-Mannes aus Pakistan durch die finanzkräftigen Bemühungen von Firmenchef Horst Dassler soll Bach laut Spiegel mitgewirkt haben.

Auch Kistner/Weinreich greifen bei ihrer Behandlung des Dopings im Spitzensport und seiner beharrlichen Verharmlosung und Vertuschung durch das IOC dankbar auf eine Stasi-Quelle zurück: die von dem Ehepaar Berendonk/Franke gesicherten und ausgewerteten Berichte des Doktors Manfred Höppner (IM „Technik“), die aber nicht nur Einblicke in die Dopingpraxis des Ostens geben, sondern auch darlegen, wie der Westen konterte.

Der Aufstieg des umtriebigen Horst Dassler vom Schuster zum kommerziellen Spiritus rector des IOC, an dem kein Sportfunktionär vorbeikam, wird in beiden Büchern geschildert, in „Muskelspiele“ ist ein Extrakapitel dem Dassler-Zögling und Samaranch- Günstling Thomas Bach gewidmet, dem Idealbild des technokratisch-glatten Olympiafunktionärs der Zukunft.

Nicht fehlen darf natürlich das Berliner Olympiafiasko, dessen Betreiber nach wie vor in Amt und Würden sind und das von Jennings perfekt in zwei Sätzen beschrieben wird: „Blieben also als Bewerber die Outsider Istanbul und Manchester sowie Sydney und Peking als aussichtsreichste Kandidaten. Daneben aber zappelte drei Jahre lang noch Berlin, produzierte einen Skandal nach dem anderen und verschleuderte dabei Unsummen von Geld.“

Beide Bücher liefern Porträts der wichtigsten Olympier, neben Samaranch der südkoreanische Ex-Geheimdienstler und Mitarbeiter der Militärdiktatur Un Yong „Mickey“ Kim, die mexikanischen Milliardärsbrüder Rana, die schuld sind, daß Schießen immer noch olympische Disziplin ist, und der Leichtathletik-Boß Primo Nebiolo, ein Dunkelmann olympischen Ausmaßes, der es tatsächlich geschafft hat, Bundespräsident Weizsäcker 1994 das Bundesverdienstkreuz abzuluchsen – vermutlich die schmachvollste Ordensverleihung seiner Amtszeit. „Muskelspiele“ bietet als Zugabe einen Abriß der deutschen Olympiageschichte mit ihrem „Höhepunkt“ 1936.

Wer diese Bücher in seinem Schrank weiß, wird während der Olympischen Spiele auch dann nicht unter Langeweile leiden, wenn ihn ein plötzlicher Mattscheibenüberdruß befällt. Vor einer von den Autoren durchaus erwünschten Nebenwirkung sollte jedoch geflissentlich gewarnt werden: Nach der Lektüre wird kaum jemand die gebotenen Höchstleistungen und großen olympischen Gefühle noch mit gleichen Augen wie vorher sehen. Wie schreibt doch Andrew Jennings: „Die Spannung bei diesem gigantischen Multisportfestival habe ich immer genossen, doch heute fällt mir die Begeisterung mit jeder Olympiade schwerer.“

Andrew Jennings: „Das Olympia- Kartell“, rororo sachbuch 60162; Rowohlt 1996, 16,90 DM

Thomas Kistner/Jens Weinreich: „Muskelspiele“. Ein Abgesang auf Olympia; Rowohlt 1996, 36 DM

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