: Niemand stand, keiner jubelte
■ betr.: „Jubel für PKK-Chef Öçalan in Bonn“, taz vom 8. 7. 96
[...] Nicht ein einziges Mal hat es in den den zwei Tagen eine „Standing ovation“ oder einen „Jubel“ gegeben, sondern man hat in vielen nüchternen Berichten die traurige Situation des kurdischen Volkes und die schlimmen Auswirkungen auch für die türkische Bevölkerung und deren Wirtschaft und die Menschenopfer dargestellt. Man hat Forderungen nach Kriegsbeendigung und nach Dialog formuliert und das Verbot der PKK als kontraproduktiv dargestellt. Man hat eine Botschaft von Herrn Öçalan verlesen, in der er obige Forderungen ebenfalls erhob, und man hat Gespräche zwischen den Regierungen der Türkei, vermittelnden Regierungen und den Führern von PKK und HADEP gefordert.
Während vieles davon in Ihrem Bericht korrekt dargestellt ist, sind Überschrift, erster Satz und das von der Hamburger Kurden-Demonstration stammende wilde Bild eine schlimme Irreführung der Leser, die gleich voreingenommen sich an die Lektüre begeben. Ulrich Gottstein,
Direktoriumsmitglied IPPNW,
Frankfurt/Main
„Jubel für PKK-Chef Öçalan“ und „Standing ovations“ für ihn in Bonn? Auf welcher Veranstaltung waren die beiden journalistischen Beauftragten der taz? Es gab weder das eine noch das andere. Niemand stand, keiner jubelte. Wohl aber ereignete sich eine ernsthafte, ruhige und inhaltlich äußerst konzentrierte zweitägige Debatte zu Lösungsmöglichkeiten und friedensstiftenden Maßnahmen im Nahen Osten. Vorgetragen von sachkundigen und renommierten Wissenschaftlern, Experten, Politikern und Vertretern von Menschenrechtsorganisationen. Nicht mehr, nicht weniger.
Weshalb also muß dieser erste und durchaus gelungene Versuch, über Chancen zur Beendigung des Krieges nachzudenken, von den taz-Vertretern per Überschrift und Bild in eine Propagandaveranstaltung umdeklariert werden, indem Dinge behauptet werden, die sich gar nicht ereigneten? Die ebenfalls berichtende türkische Presse wußte jedenfalls korrekter zu berichten.
Vollends gefährlich wird der Journalismus der taz-Berichterstatter Blaschke und Chafik, wenn einer der beiden anwesenden Friedensfrauen, Emine Duman, das vollkommen erfundene Zitat unterlegt wird, sie habe Herrn Öçalan „als wahren Friedensstifter“ bezeichnet. Einen solchen Satz hat sie nirgends gesagt, niemand sonst hat ihn gehört oder zitiert, kein Protokoll und keine Aufzeichnung gibt ihn wieder. Ist den beiden taz- Journalisten noch klar, daß ein solcher Satz die beiden Frauen aufs äußerste gefährden kann, wenn sie wieder in der Türkei eintreffen?
Wir wünschen in Zukunft nicht mehr als eine korrekte Berichterstattung, die ruhig auch kritisch sein mag, aber sich jedenfalls ihrer journalistischen Verantwortung bewußt ist. Hans Branscheidt,
medico international
Die taz bleibt bei ihrer Darstellung. Nachdem während der Konferenz eine Botschaft des PKK- Chefs Abdullah Öcalan verlesen worden war, kam lauter Applaus auf, viele ZuhörerInnen erhoben sich von den Plätzen. Emine Duman würdigte Öcalan auf der Pressekonferenz der Veranstaltung mit Worten, die in der deutschen Übersetzung mit „wahrer Friedensstifter“ wiedergegeben wurden. d.Red.
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