: Genossenstreit um Krümmel
Neuer Leukämie-Fall in Geesthacht / Energiepolitiker Vahrenholt und Möller fetzen sich über die Abschaltung des Reaktors ■ Von Marco Carini
Claus Möller sprach deutliche Worte – nur Taten konnte er nicht bieten. In einer Regierungserklärung zur Atomkraft-Nutzung forderte der schleswig-holsteinische Energieminister gestern vor dem Kieler Landtag die Hamburgischen Electricitätswerke (HEW) auf, den Atommeiler in Krümmel vorläufig vom Netz zu lassen. Bis die schriftliche Begründung eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichtsin Berlin vorliegt, solle der seit dem 31. August wegen einer Revision abgeschaltete Reaktor nicht wieder in Betrieb genommen werden.
Dieses hatte vergangenen Monat eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes (OVG) Schleswig für nichtig erklärt, mit dem dieses bestehende Betriebsgenehmigungen für unanfechtbar erklärt hatte. Die in der Umgebung des AKWs gehäuft auftretenden Leukämiefälle hatte das OVG dabei, nach Ansicht der Berliner Richter zu Unrecht, außer acht gelassen. Da dieses Urteil die bisherige bundesdeutsche Atom-Rechtsprechung möglicherweise in weiten Teilen „revidiere“ und „gegebenenfalls zum Abfahren der Anlage“ führen könne, fordert Möller nun eine Ruhepause für Krümmel als „vertrauensbildende Maßnahme“.
Die Landtags-Debatte über Krümmel erhielt eine erschreckende Aktualität: Gestern wurde bekannt, daß ein weiteres Kind aus Geesthacht im vergangenen Jahr an Blutkrebs erkrankt ist – der mittlerweile zehnte Leukämiefall in unmittelbarer Reaktornähe. Eugen Prinz von der Bürgerinitiative „Leukämie in der Elbmarsch“ hält es deshalb für „unverantwortlich, wenn Möller die Wiederanfahrgenehmigung für das Atomkraftwerk erteilen“ sollte. Der Minister kann die Reaktor-Beurlaubung nach eigener Einschätzung jedoch nicht ausdehnen: „Die Anfahrzustimmung können wir nicht verweigern. Wir sind rechtlich gehindert das zu tun, was wir für politisch notwendig halten“.
Ob der Reaktor tatsächlich für die in der Elbmarsch gehäuft auftretenden Fälle von Kinderleukämie verantwortlich ist, hält Möller weiterhin für „ungeklärt“. Vom Bundesverwaltungsgericht erwarte er nun „deutliche Aussagen dazu“, ob den Kraftwerksbetreibern oder den Atomgegnern die „Last der Nachweisführung obliegt“.
Die verbalen Attacken Möllers gegen Krümmel sind nicht nur eine Kampfansage gegen die Kraftwerksbetreiber HEW und Preußen-Elektra, sondern auch gegen den Hamburger Umweltsenator Fritz Vahrenholt (SPD). Der nebenberufliche HEW-Aufsichtsratsvorsitzende hatte am Dienstag dem Reaktor eine Unbedenklichkeitserklärung ausgestellt. „Nach allen uns vorliegenden Erkenntnissen scheide Krümmel als Ursache für die Leukämiehäufung aus“, faßte Vahrenholt seine Wahrnehmung der bisherigen Ursachenforschung zusammen. Es gebe „Politiker“, zielte Vahrenholt ohne Namen zu nennen in Richtung Möller, die „unbewußt die Kinderleukämien in der Elbmarsch instrumentalisiert“ hätten – „als Hebel für den Einstieg in den Ausstieg aus der Atomenergie“.
Möller hingegen läßt sich von der verbalen Attacke seines bestgehaßten Amtskollegen nicht vom Kurs abbringen. Das Ziel der Landesregierung sei es, betonte er, „so schnell wie möglich die drei schleswig-holsteinischen Atomkraftwerke Brunsbüttel, Brokdorf und Krümmel stillzulegen“. Die Nutzung der Atomenergie sei eine „politische und ökologische Belastung für Schleswig-Holstein“.
Eine Klage den HEW vor dem Schleswiger Oberverwaltungsgericht, mit der der Energiekonzern eine Sofort-Zustimmung zum Wiederanfahren des AKW Brunsbüttel, zumindest aber Schadensersatzgelder in Millionen-Höhe erstreiten will, kritisierte Möller scharf. Der Minister: „Wir lassen uns von den HEW nicht einschüchtern“.
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