■ Filmstarts à la carte: Aristokratie und Arbeiterbewegung
Ein verlorener Krieg, Inflation und Weltwirtschaftskrise: Bekanntlich hatten es die Deutschen in den zwanziger Jahren nicht eben leicht. Das Kino der Weimarer Republik reflektierte die Veränderung der Gesellschaftsstrukturen sowie die Sorgen und Nöte der Menschen – auf jedoch recht unterschiedliche Weise: Kurz nach dem Ersten Weltkrieg inszenierte Ernst Lubitsch mit seiner Austernprinzessin eine groteske Satire, in der der Kapitalismus der amerikanischen Sieger auf eine obsolete europäische Aristokratie trifft. Von Lubitschs boshaftem Spott bleibt dabei weder der kulturlose, neureiche „Austernkönig“ verschont, der in einem riesigen Schloß residiert und – sozusagen als Krönung – dem verwöhnten Töchterchen einen echten Prinzen als Gemahl kaufen möchte, noch der zu diesem Zweck auserkorene Adelige. Dieser haust mit seinem Diener in einer ärmlichen Hinterhofwohnung, wo er jedoch an den mittlerweile recht unpassenden Umgangsformen einer vergangenen Ära festhält: „Ich werde nachsehen, ob Hoheit heute empfängt. Nehmen Sie inzwischen auf dem Treppengeländer Platz“, bescheidet der Diener einmal einen Besucher. Auch der penetrante Wohltätigkeitsfimmel reicher Erbinnen wird von Lubitsch der Lächerlichkeit preisgegeben: Im „Verein der Milliardärstöchter zur Bekämpfung des Alkoholismus“ werden die flammenden Reden stets mit einem guten Schluck begossen. Anschließend tragen die höheren Töchter den Kampf um junge, gutaussehende „Patienten“ mit harten Bandagen in einem Boxkampf aus.
In der Nachkriegszeit sorgte jedoch eine Attraktion ganz anderer Art für Furore: Ein opulentes Hochzeitsbankett bot dem Publikum Anlaß zum Träumen. Julius Falkensteins gesamte Rede zur Feier des Tages besteht auch aus nur einem einzigen Satz, den das Publikum sicher mitfühlen konnte: „Ich habe schon lange nicht mehr so gut gegessen.“
Mit Schlössern und Banketten nichts am Hut hatte hingegen Piel Jutzi, als er 1929 Mutter Krausens Fahrt ins Glück inszenierte. In dem sogenannten „Milljöh“-Film nach Geschichten von Heinrich Zille kristallisiert sich aus den im Berliner Arbeiterbezirk Wedding gedrehten Dokumentaraufnahmen langsam eine tragische Familiengeschichte heraus. Beengte Verhältnisse, Arbeitslosigkeit und Kriminalität sind dabei an der Tagesordnung – bonjour tristesse. Platz für Illusionen gibt es keine: Das Karl-Marx-Porträt ist bereits ziemlich verstaubt, und selbst die Kinder mögen nicht mehr an den Weihnachtsmann glauben. Mutter Krause tritt ihre Fahrt ins Glück an, indem sie letztlich den Gashahn öffnet.
Mit einem Freitod beginnt auch Kuhle Wampe von Slatan Dudow: Von der ergebnislosen Arbeitssuche und den dummen Sprüchen seiner Eltern („Wer tüchtig ist, kommt immer weiter“) entnervt, springt ein junger Mann aus dem Fenster. Doch der Regisseur und sein Drehbuchautor Brecht zeigen uns, daß nicht der Tod, sondern der (Klassen-) kampf die Lösung der sozialen Probleme verspricht. Und so erscheint denn auch die patente Schwester des Toten als nachahmenswertes Vorbild: Sie entfleht der spießigen Enge des Elternhauses, zeigt ihrem Macho- Freund, wo's langgeht, und findet Solidarität in der Arbeiterbewegung.Lars Penning
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