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Trance ohne Drogen

■ Bremer KünstlerInnen gehen mit multi-medialer Kunst an den Start/ Gesamtkunstwerk im Planetarium geplant

Man könnte die KünstlerInnen Guido Baier und Neeharika Rita Donau auch Propheten nennen. Propheten mit einer Botschaft an den Rest der Welt. Der Cyberspace, der virtuelle Computerraum, hat die beiden BremerInnen jetzt auf eine missionarische Idee gebracht: Ein multi-mediales Gesamtkunstwerk soll in eine riesige Planetariumskuppel projiziert werden und so BremerInnen eine neue, computeranimierte Realität schmackhaft machen.

Die Multi-Media-Welt ist es nämlich, die überall auf der Welt KünstlerInnen zu neuen Ausdrucksformen anspornt. Ganz pessimistische Utopien sind dabei neuerdings aus dem fernen Kalifornien zu vernehmen. Deformierte Körper entläßt die Künstlerin Victoria Vesna jetzt ins Netz. Jeder Internet-Nutzer kann seinen Internet-Körper per Bausatz mit Armen, Köpfen und Beinen zusammenstellen. Meist kommen bei diesem individuellen Schaffensprozeß wahre Monster heraus: Ungeheuer mit der Haut einer Kraterlandschaft, die orientierungslos im Netz herumgeistern.

Im hanseatischen Bremen entdecken jetzt auch KünstlerlInnen die multi-mediale Welt - aber auf eine ganz und gar positive Art. Vom Kosmos beseelte und fast schon transzendentale Menschen sehen die Bremer Guido Baier und Neeharika Rita Donau gemeinsam mit ihrem Informatikerfreund Thorsten Ortloff in der neuen Welt entstehen. Denn die Computertechnik sei auf jeden Fall „bewußtseinserweiternd“, sagt Neeharika. Schließlich sind alle drei irgendwie vom Techno-Kult beseelt, der mit seinen Raves Freundlichkeit und Liebe verbreitet. Das ist „ein Zeitgeist, der einen fast religiösen Kult geschaffen hat“, sagt der studierte Mode-Designer Guido Baier. Und mit dieser Love&Peace-Philosophie nähert sich das Trio auch gestalterisch den neuen medialen Möglichkeiten. Doch wie soll mensch ausdrücken, was zukünftig unsere höchst sensiblen Sinne erreicht? Eine Antwort darauf soll das Gesamtkunstwerk sein, und P.H.I. soll es heißen.

P.H.I. ist als wahrhafte Pionierleistung geplant – ein „multikulturelles, multidimensionales, digitales Gesamtkunstwerk“, das auf der „logorythmischen Grundstruktur des Mikro- und Makrokosmos“basiert. Das Kunstwerk soll alles und nichts sein und vor allem eines beweisen: „Alles ist eins“– von der menschlichen Zelle bis zur fernen Galaxie, erklärt Neeharika. Sphärische Technoklänge, geometrische Formen und Computeranimationen sollen sich in einer Planetariumskuppel zu einer einzigartigen kosmischen Sphäre vereinigen. „Der Betrachter wird quasi in das Geschehen und den Kosmos hineingezogen“, so Neeharika.

„Das hat endlich mal Atmosphäre“, sagt die freie Künstlerin, die jahrelang große Wände bemalte. Aber dabei fehlte ihr die Ausdruckskraft. Sie suchte nach anderen Gestaltungsebenen, machte Filme, „doch das war einfach zu statisch. Wer etwas filmen will, muß erst, wie im Theater, eine Bühne schaffen.“Bei einer Fortbildung zur Multi-Media-Designerin stieß die 35jährige auf einen dreidimensionalen Raum, auf Animationen, die zusammen mit Musik verschiedenste Arten von Atmosphären schaffen. Fasziniert von der neuen, gestalterischen Freiheit ging sie mit ihren beiden Künstlerkollegen an die Arbeit für P.H.I.

Der 30jährige Guido ist jetzt schon ganz gespannt, was ihn in den nächsten Monaten bei diesem Projekt erwartet. Seine Worte überschlagen sich, wenn er von der Techno-Szene (“Das hat mich stark beeinflußt“) spricht. Begeistert präsentiert er eine selbstproduzierte CD-ROM, die er ebenfalls nach einer Multi-Media-Fortbildung programmierte und gestaltete. „Ich weiß jetzt, was ich kann“, sagt Guido und klickt auf seine Computer-Mouse. Bizarre Gestalten flimmern da über den Bildschirm. „Menschenverstärker“, die Guido für seine Mode-Performance „Cellular Automata“entworfen hat. Der Menschenverstärker „Creuga“zum Beispiel ist ein metallischer Android, der mobil, selbständig und flexibel ist. Diese menschliche Kreatur hat die maschinelle Beherrschung längst überwunden. Denn für den philosophisch angehauchten Guido, der bereits auf der Anti-Modemesse „Ave“in Berlin ausgestellt hat, streben Menschen nach dem Perfekten - und beherschen die Technik. Diese Energie und Kraft hat der Mode-Designer in seinen „Menschenverstärkern“quasi „äußerlich sichtbar gemacht.“Denn alle Modehüllen sind sehr ausladend gestaltet. Arme und Beine sind verlängert, Spitzen und Speere ragen aus dem Rücken. Fast sieht diese Kleidung schon wie ein Cyber-Anzug aus, der virtuellen Sex möglich macht. Faszination für diese neue Realität beherscht also das Bremer Trio: Es ist für sie ein schöner, neuer Geist und fast schon religiöser, esoterischer Bewußtseinszustand, der da entsteht. P.H.I. – das wird wie Trance ohne Drogen sein. Aber bis es soweit ist, vergeht für interessierte BremerInnen noch etwas Zeit: „Wir brauchen noch ein Jahr“, sagt Guido. Schließlich soll es ja ein pionierhaftes Gesamtkunstwerk werden. Katja Ubben

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