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■ VorschlagBöses Erwachen? „Spurlos“ von George Sluizer im fsk-Kino

„Da die eigene Existenz zunehmend fremdbestimmt ist, [...] ist das Aneignen einer fremden Existenz der einzige Weg zu sich selbst geworden“, schreibt Georg Seeßlen in seinem Standardwerk „Kino der Angst“. Die Sehnsucht nach Identitätsverlust, Neugeburt und die Angst vor der Auflösung, die in religiösen und kultischen Veranstaltungen von Bedeutung ist, ist das Generalthema des Thrillers.

In „Spoorloos“ geschehen die Verwandlungen eher am Rande. Der holländische Regisseur George Sluizer verzichtet in seinem vielfach preisgekrönten Thriller fast vollständig auf die üblichen Suspensepassagen klassischer Thriller. Rex und Saskia, ein junges holländisches Paar (Gene Bervots und Johanna ter Stege) fahren in den Urlaub nach Südfrankreich. Ihre Liebe schwankt fragil zwischen Verlustangst und Euphorie. Auf einer Autobahnraststätte machen sie halt. Grad war Saskia noch da; schon ist sie verschwunden.

Drei Jahre später hat Rex zwar eine neue Freundin, doch besessen sucht er immer noch nach Saskia. In der Gegend, in der sie verlorenging, plakatiert er ihr Gesicht und kauft sich ab und an Sendezeit im TV in der Hoffnung, daß der Entführer gerade zusieht. Tut er natürlich auch. Mehrmals schickt er dem Helden Postkarten, in denen er ihn da- und dorthin bestellt, gibt sich jedoch an den Treffpunkten nie zu erkennen. Irgendwann taucht der Entführer vor Rex' Wohnung dann doch auf. Wenn Rex mitkommt nach Frankreich, wird er ihm sagen, was mit Saskia geschah. Auf der gruseligen Reise erzählt der Entführer – ein pausbäckig-gartenzwergiger Lutz Rathenow – sein Leben. Wie er als kleiner Junge, um seine Angst vor dem Springen zu überwinden, vom Balkon gesprungen sei, wie er einmal ein kleines Mädchen vor dem Ertrinken rettete. Um festzustellen, ob er nun gut oder böse sei, versuchte er Böses zu tun. Wenn Rex wissen wolle, was mit seiner Freundin geschah, müsse er auch einen Sprung wagen. Das Ende der Geschichte ist selten gemein. „Vanishing“ lebt von einer elegant-kühlen Straightness. Fünf Jahre später drehte Sluizer ein ausgesprochen dämliches Hollywood-Remake. Detlef Kuhlbrodt

„Spurlos“ (The Vanishing), NL/F 1988, R.: George Sluizer; bis Mittwoch noch im fsk, 19.30 Uhr, danach im Sputnik Südstern

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