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Rheinmetall schluckt STN Atlas Elektronik

■ Der Standort Bremen ist vorerst gesichert / Europäische Rüstungskonzerne entstehen / Ist die Rüstungskonversion gescheitert? Ein Interview mit dem Friedensforscher Prof. Ulrich Albrecht übereitert. Interview mit dem Berliner Friedensforscher Prof. Ulrich Albrecht

Das Bundeskartellamt hat offensichtlich der Übernahme des Bremer Unternehmens STN Atlas Elektronik durch ein Konsortium aus Rheinmetall, den Badenwerken und British Aerospace zugestimmt. Mit dem endgültigen Ja-Wort aus Berlin ist im Juni zu rechnen. Probleme bei der Zustimmung für die Übernahme bereitete dem Kartellamt das STN-Geschäftsfeld Feuerleitsysteme für Waffen, das etwa zehn Prozent des STN-Umsatzes ausmacht. Die taz sprach über die anstehende Übernahme des Bremer Elektronikspezialisten durch die drei Rüstungsschmieden mit dem Berliner Friedensforscher Ulrich Albrecht, Professor für Konfliktforschung am Fachbereich Politologie der Freien Universität Berlin.

taz: Herr Albrecht, Vulkan-Konkursverwalter Jobst Wellensiek hat STN stets als die Perle vom Vulkan bezeichnet. War das nur Verhandlungspoker oder ist STN wirklich so interessant?

Professor Ulrich Albrecht: Die Bewertung ist nachvollziehbar, vor allem wenn man die anderen Arbeits- und Funktionsbereiche des Vulkan daneben sieht. Und: Allein was die Ausstattung der Bundeswehr mit Computern und Elektronik angeht, gilt dieser Vulkan-Bereich weltweit mit als einer der modernsten.

Was ist so interessant an STN?

Das ist eine breite Palette von hauptsächlich elektronischen Ausrüstungen wie Feuerleitanlagen und Kommunikationstechnologie. Da man zudem annimmt, daß der Wertanteil dieser Elektronik bei Waffensystemen kontinuierlich steigt, das ist bei Panzern schon 30 Prozent, bei Flugzeugen geht es teilweise über 50 Prozent, ist STN hochinteressant.

Das Kartellamt hat fast ein Dreivierteljahr geprüft. Warum war die Übernahme so brisant?

Das Kartellamt befürchtet eine Marktsituation in der Rüstung, wo nur ein Anbieter in dieser Branche wenigen Käufern entgegentritt – zum Beispiel NATO-Regierungen, die so etwas selbst nicht herstellen. Und diese Monopolisierung der Märkte soll europaweit vermieden werden. Deshalb auch diese Beteiligung von British Aerospace.

Probleme mit der Übernahme von STN hatten auch die Unternehmen Krauss-Maffay und Wegmann. Wo lagen die?

Auch da geht es wieder um eine Vorherrschaft in neuen Märkten. Die Rüstungsindustrie erwartet eine Umrüstung der Bundeswehr. Jetzt wo nicht mehr die Gefahr aus dem Osten mit dem Heranrücken großer Panzerrudel im Vordergrund steht, sondern Einsätze im Rahmen der Vereinten Nationen, braucht die Bundeswehr neues Gerät – etwa weitreichende Transportflugzeuge. In diesen Bereichen wird allgemein mit signifikanten Aufträgen gerechnet. Und das ist jetzt die Frage, wer kann da die besten Angebote machen. Und dabei sind Krauss-Maffay eher an den Optionen, die STN eröffnet, interessiert, als daß sie wirklich die Finanzkraft hätten, STN zu übernehmen. Darum auch die Intervention beim Kartellamt.

Rheinmetall-Chef Hans Brauner hat von einer für die Konkurrenten Krauss-Maffay und Wegmann „konstruktiven, industriellen Lösung“gesprochen. Wie könnte die aussehen?

Vorstellbar sind Kooperationsabsprachen. Wegmann konzentriert sich auf Panzertürme und ist dabei an Feuerleittechnik interessiert. Rheinmetall hat sich mehr auf Geschütze spezialisiert. Das heißt, es könnte die Absprache geben, daß der Turmbau weiter in Kassel bei Wegmann bleibt – mit Technik von STN und Geschützen von Rheinmetall. Ähnlich ist Krauss-Maffay bekannt für den Bau von Panzer-Chassis. Daher dürfte es dort gleiche Absprachen geben. Es gibt also eine klare Aufgabenteilung beim Bau von Panzern und es ging jetzt nur darum, wer das Herzstück bekommt: Die Elektronik.

An dem Deal ist auch British Aerospace beteiligt. Könnten dadurch politische Gründe für die Verzögerung verantwortlich sein?

Das Europäische Parlament drückt besonders auf diesen Bereich. Die nationalen Rüstungskonzerne sollen sich nicht europaweit miteinander verfehden, sondern sich möglichst zusammenschließen, um gegen die Amerikaner und andere Anbieter, etwa aus Asien, Bestand haben zu können. Und das ist sicher in die Behördenentscheidung mit eingeflossen.

Hat da das Bundesverteidigungsministerium interveniert?

Die entsprechenden Fachleute im Verteidigungsministerium stehen natürlich mit den Firmen in Kontakt. Ich würde nicht von einer formalen Demage eines Ministers ausgehen. Aber daß in dieser Entscheidung die Rüstungsbürokratie Einfluß genommen hat, das ist mit Sicherheit zu unterstellen.

Wächst da eine neue Qualität der Rüstungsproduktion heran – Europa gegen den Rest der Welt?

Ja, und der aktuelle Fall um STN ist in dieser Angelegenheit einer der ersten Vorgänge und damit auch der erste konkrete Bote. Es werden also in Zukunft europaweit eher internationale als nationale Fusionen gebilligt werden.

Läßt sich das mit nationalen Sicherheitsinteressen vereinbaren?

Auch die Rüstungsplaner sehen, daß angesichts der Kosten moderner Waffensysteme nationale Märkte zu klein sind. Daß also besonders im High-Tech-Bereich größere Firmen her müssen. Diese Konzentration ist schlicht eine legale Folge der Globalisierung.

Was bedeutet die Übernahme von STN für die ehemalige Waffenschmiede Rheinmetall? Wandelt sich der neue Mischkonzern wieder zurück zum Rüstungsproduzenten?

Nein, Rheinmetall hat immer Wert gelegt auf seine traditionelle Linie Rüstung. STN ist jetzt der Versuch, weiter im Rüstungsbereich tonangebend zu sein.

Laut Rheinmetall-Chef Hans Brauner ist der Rüstungsanteil bei dem Unternehmen aber auf 22 Prozent gesunken. Ist das realistisch?

Die Rüstungsindustrie wandert zur Zeit, wie sie das nennt, durch ein Tal der Tränen. Die Bundewehr hat erheblich abgespeckt in der konventionellen Rüstung. 40 Prozent bei den Kampfpanzern sowie 60 Prozent bei den Schützenpanzern. Und aufgrund der aktuellen Hauhaltslage erfolgen zur Zeit keine großen Rüstungsbeschaffungen. Das spiegelt sich natürlich in den laufenden Bilanzen der Konzerne wider. Aber mich würde es nicht überraschen, wenn die Rüstungsquote bei Rheinmetall in naher Zukunft wieder scharf auf mindestens 50 Prozent ansteigt.

Wie ist die Übernahme aus Sicht von STN zu beurteilen?

Nun, die Verbindung mit dem Vulkan insgesamt war keine rosige Zukunft. Darum ist die Übernahme jetzt für den Standort Bremen eine gewisse Zukunftssicherung.

Der Bremer Senat hat damals für die Übernahme von Krupp Atlas Elektronik durch den Vulkan Bürgschaften übernommen, die sich später als gigantisches Minusgeschäft entpuppt haben. Ist Bremen jetzt der große Verlierer?

Nicht unbedingt. Bremen zeichnet sich dadurch aus, daß das Land im Arbeitsmarkt die höchste Rüstungsquote im Vergleich zu allen anderen Bundesländern hat. Insofern war das Engagement des Bremer Senats verständlich. Es erfolgt offensichtlich doch eine gewisse Standortsicherung durch diese Fusion, sodaß ich diese Bürgschaften rückblickend nicht für völlig sinnlos halte. Sonst sähe die Situation noch katastrophaler auf dem Bremer Arbeitsmarkt aus.

Wird das Unternehmen nach der Übernahme zerschlagen?

Das ist eher unwahrscheinlich. Das wäre für die Übernehmer mit sehr hohen Kosten verbunden. Ich gehe davon aus, daß STN vollständig in Bremen bleibt.

Was kommt jetzt auf die Mitarbeiter bei STN zu?

Ich rechne nicht mit einer hohen Mobilität oder großen Personaltransfers, weil eben doch eine klar ausgeprägte Arbeitsteilung zwischen STN und den anderen Unternehmen sichtbar ist.

Wie ist die Fusion rüstungspolitisch zu bewerten? Als Schlag ins Gesicht aller Konversionsbefürworter?

Ja, daß diese Art Friedensdividende im Bereich High-Tech greift, ist nicht zu sehen. Nehmen sie die Transporttechnologie. Über neue Nahverkehrsmittel wird kaum noch geredet. Im Medizinbereich ist technisch manches möglich, aber die Verschuldung ist so hoch, daß echte Innovationen kaum möglich sind. Darum ist die aktuelle Entwicklung gesellschaftspolitisch sehr negativ zu bewerten. Zumal diese neuen europäischen Konzerne politisch noch schwerer zu kontrollieren sind. Das ist eine Entwicklung, die nicht zu begrüßen ist. Man muß das sehr genau verfolgen.

Sind die Konversionsmittel, die zum Beispiel Bremen investiert hat, damit in die Weser geworfen.

Nein, Bremen hat auf dem Gebiet sehr gut gearbeitet und die Nase vorn gehabt – auch etwa in der Aquisition von EU-Mitteln.

Interview: Jens Tittmann

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