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Grunge-Musterschüler rocken das Gesamtkunstwerk

■ Gratis! Grunge! Gig!! „Maryland“und „Verstärker“kamen bei der sommerlichen Stagebox im „Modernes“schnell zur Sache

„Maryland“zeigten sich zum Gratis-Grunge-Gig am Mittwoch im „Modernes“als eine Band, die nicht lange fackelt. Kaum waren sie auf der Bühne, da rollte das Schlagzeug und rockte die Gitarre, während der Baß kräftig dröhnend pumpte. Ob ein Song mit klimpernder Gitarre und Gesang begann oder mit düsterem Baß- und Schlagzeug-Intro, schon bald spielten alle zusammen und drückten auf die Tube.

Langsamere Takte gab es selten, leise gar nicht. Das störte nicht, denn die drei Delmenhorster spielten ihre Stücke mit ansteckender Begeisterung. Musikalisch beeindruckte dabei am meisten das gut bestückte Drum-Set von Timo Seggermann.

Obwohl man den guten Mann hinter seinen vielen Werkzeugen kaum sehen konnte, behielt er stets den Überblick. Kein Becken und kein Fell blieb unbetrommelt. Dieser Sound wirkte stets voll, aber nie überladen. Ob in Solo-Passagen, als Rückendeckung für Lars Schneiders zielstrebige Gitarre oder perfekt tickendes Uhrwerk für den Gesamtsound – Seggermann ließ sich nicht aus der Ruhe bringen bzw. kam nie zur Ruhe.

Es klingt so abgedroschen und abgeschrieben, daß man es kaum sagen mag, aber es stimmt: Die Arrangements von „Maryland“erinnerten oft an die von „Nirvana“. Ein Narr jedoch, wer das als negativ versteht. „Maryland“pflegen diesen Sound von ganzem Herzen, und ihre Songs haben weit mehr Kraft und Eigenständigkeit als die mancher Post-Grunger mit Major-Plattenverträgen. Schön vor allem der Verzicht auf Weinerlichkeits-Posen trotz sicherlich nicht uneingeschränkt fröhlicher Texte.

Schwieriger zu definieren waren die Vorbilder der zweiten Band „Verstärker“. Nach einem Kammermusikintro vom Band kamen die drei Herren angetan mit Schlips und Kragen auf die Bühne. Mit Dia-Show hinter sich und etlichen eingeschworenen Fans vor sich spielten sie lauten Rock mit deutschen Texten, der immer wieder aus Rock-Klischees auszubrechen verstand. Zu einem Lied über Australien gab es ein Banjo und den Versuch, ZuhörerInnen auf selbstgebastelten Didgeridoos blasen zu lassen. Letzteres scheiterte jedoch: Behalten wollten die Beschenkten die Instrumente gern, darauf vor Publikum spielen derweil nicht. Die Stimmung war dennoch gut: Von Anfang an wurde getanzt.

Der Name „Verstärker“kommt scheinbar nicht von ungefähr. Nicht nur paßte er am Mittwoch zur Lautstärke und dem rockigen Grundtenor, auch wurde der Gitarrenverstärker über brummige Feedbacks immer wieder in den Sound eingebaut, quasi als zusätzliches Instrument. Das Schlagzeug trommelte oft im Einklang oder gegen Zusatz-Beats aus der Maschine, wobei die Kraft des einen wunderbar die Klapprigkeit des anderen kontrastierte.

Zusammen mit den Dias von gespaltenen Schädeln, Puppen, Bäumen und anderem wirkten „Verstärker“wie ein äußerst lebendiges Gesamtkunstwerk, das gebührlich gefeiert wurde.

Andreas Neuenkirchen

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