: Möglichkeiten des Scheiterns
■ Schnelle medizinische Hilfe für deutsches Dichtertum: „Benn und Becher – Doppelleben Deutsch“ im bat: ein Stück mit einem Rote-Kreuz-Schwestern-Chor
Etwa zur selben Zeit, als Gottfried Benn mit dem Bundesverdienstkreuz erster Klasse geehrt wurde, verkündete Walter Ulbricht, die Hauptstraße der neueren deutschen Dichtung führe von Goethe und Hölderlin zu Johannes R. Becher. Benn und Becher, beide in ihrer Jugend Protagonisten der expressionistischen Lyrik, stehen für zwei extreme Entwicklungsmöglichkeiten von Dichtern und Intellektuellen angesichts der ideologischen Verheerungen unseres Jahrhunderts. Die Regisseure Hannes Hametner und Marc Pommerening, Studenten der Ernst- Busch-Schule, haben die unterschiedlichen Lebenswege beider Dichter zum Gegenstand einer Inszenierung gemacht, die im Rahmen der Berliner Festwochen im bat uraufgeführt wurde.
„Doppelleben Deutsch“ heißt das Stück in Anspielung auf Benns Autobiografie. Benn wird von Klaus Schleiff gespielt, Rüdiger Kuhlbrodt stellt den bei aller Hinwendung zum Proletariat in seiner Erscheinung bürgerlich wirkenden Becher dar. Wie zwei Neugeborene kommen die beiden aus der schlichten Sperrholzkulisse herausgepurzelt, in der sechs Türen ausgespart sind. Die Blechverkleidung über den Türen wird hochgeklappt, und ein Chor aus sechs Rote-Kreuz-Schwestern tritt auf.
In der Inszenierung wird auf biografisch verbürgte Fakten und auf eine Collage authentischer Texte zurückgegriffen. Benn und Becher werden noch einmal vor die historischen Entscheidungssituationen geführt. Kriegsausbruch 1914, Kriegsende und Novemberrevolution 1918, die politische Polarisierung seit Ende der zwanziger Jahre, die Machtübernahme der Nazis und der Zusammenbruch des Dritten Reiches. Zum deutschen Thema gesellt sich das deutsche Sujet: Aufbau, Figuren und viele Zitate spielen auf den „Faust“ an, freilich ohne die Inszenierung mit Bildungshuberei zu beschweren. Mephisto, in doppelter Gestalt, als Verführer von Hitlers und Stalins Gnaden, tritt als Spielleiter der Geschichte auf. Dr. Benn schließt einen Pakt mit den Nazis, den er bereuen wird, während Becher in die trügerische Sicherheit des Moskauer Exils flieht.
Geschichtspessimismus versus Teleologie, für diese Grundentscheidung und ihre Folgen in der Literatur und im sozialen Engagement der Protagonisten hat die Inszenierung anschauliche Bilder gefunden. Die Ermordung Rosa Luxemburgs wird als Initiation Bechers in Szene gesetzt: Den Aschenputtelschuh in der Hand, läuft er auf der Suche nach dem neuen Menschen von Frau zu Frau und findet schließlich den passenden Fuß.
Benn setzt der Suche nach dem neuen Menschen den nüchternen Blick des Pathologen entgegen, der das Messer zum Sezieren schon angesetzt hat – auch diese Haltung ist nicht frei von Pathos. Immer wieder ist es der Chor der sechs Frauen, der die beiden Dichter zur Entscheidung drängt: Die Hände zum Gebet falten oder die Hand zur Faust schließen? Daß das Stück freilich nicht in dieser schablonenartigen Zeichnung der Lebenshaltungen von Benn und Becher erstarrt, ist den Darstellern Klaus Schleiff und Rüdiger Kuhlbrodt zu danken, von deren schauspielerischer Leistung die Inszenierung vor allem lebt.
Obwohl Becher und Benn in ihren ästhetischen und politischen Positionen Antipoden waren, hatten sie ein Bewußtsein für die Verwandtschaft ihrer Situation. Die Nähe zur Macht hat beiden geschadet, sie schlug als kunstfeindliche „Tendenz“ in ihrer Literatur durch, bei Benn in der Beschimpfung der Emigranten (der Wortlaut der Rundfunkrede ist dem exzellent gestalteten Programmheft beigegeben), bei der Becher in seiner blinden Stalin-Verehrung und der „klassizistischen Verseschmiederei“, wie Hermlin die Spätlyrik des Dichters einmal genannt hat.
Die beiden Regisseure Hametner und Pommerening haben aus dem Stoff keine Parabel auf das Verhältnis von Geist und Macht, kein philosophisches Lehrstück gemacht, sondern lebendiges Theater von bedrängender Aktualität. Peter Walther
Wieder am 21./22. und 28.9., 20 Uhr, bat, Belforter Straße
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