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Teetrinken beruhigt die Nerven Von Ralf Sotscheck

Engländer sind höflich. Und unendlich geduldig. Der Langmut zweier älterer Damen wurde neulich allerdings von den beiden Betreibern eines Schnellrestaurants in der Kensington High Street einem Härtetest unterzogen. Der Laden liegt schräg gegenüber vom Kensington-Palast, Prinzessin Dianas letztem Wohnort, und hat in der Woche vor ihrer Beerdigung das Geschäft seines Lebens gemacht. Die beiden Damen, die in ihren Sonntagskostümen etwas fremd in der fettigen Umgebung wirkten, wollten jedoch nur zwei Tassen Tee. Das war schwieriger als erwartet.

Als die eine mit den beiden Pappbechern, bei denen man die Henkel herausklappen muß, zum Resopaltischchen am Fenster zurückkam, war der anderen daß trübe Heißgetränk noch etwas zu dunkel. Also ging sie quer durch das Fast-Food-Etablissement zum Tresen und bat um etwas Milch. „Haben wir nicht“, sagte der Fischbräter und schickte die Dame wieder auf ihren Platz. Dort angekommen, fiel ihr ein, daß sich ja bereits etwas Milch im Tee befand. Es erschien ihr unwahrscheinlich, daß es sich dabei um die letzten Tropfen gehandelt haben sollte. Also wieder zum Tresen.

„In meinem Tee befindet sich Milch“, sagte sie.

„Sie wollten doch Milch, denke ich“, antwortete der Schnellkoch.

„Aber Sie sagten doch, Sie haben keine Milch“, beharrte die Dame.

„Ich habe keine Portionspäckchen, sondern nur einen großen Krug.“

„Kann ich etwas davon haben?“ „Ich denke, Sie haben bereits Milch in ihrem Tee?“

„Aber nicht genug. Geben Sie mir noch etwas?“ – „Da müssen Sie ihre Tasse herbringen, ich kann Ihnen ja nicht den ganzen Krug geben.“

Die Dame ging wieder zum Tisch, nahm die inzwischen lauwarme Papptasse und trug sie zurück zum Tresen. Der Milchmonopolist war inzwischen im Lagerraum verschwunden. Sein Kollege behauptete, er habe keine Milch. Die Dame erklärte ihm mit Engelsgeduld, daß ihr der Co-Koch wenige Minuten zuvor ein paar Tropfen versprochen hätte. „Ach so, für den Tee“, ging ihm nun ein Licht auf. Gerade wollte er den Tee mit Milch versorgen, da klingelte das Telefon. So blieb die Tasse auf der Dunstabzugshaube über der Fritteuse stehen. Inzwischen war es im Laden mucksmäuschenstill, alle waren gespannt auf den Ausgang des Dramas um das ehemalige Heißgetränk.

Nun kam der erste Bratspezialist aus dem Lagerraum zurück und schaute verwundert auf die Dame. „Meinen Tee, bitte“, sagte die. — „Sie wollen noch einen Tee?“

„Nein, es ist immer noch derselbe. Er steht auf der Dunstabzugshaube. Es fehlt noch etwas Milch.“

„Auf der Dunstabzugshaube? Wie ist er denn dort hingekommen? Na, egal. Das macht dann sechzig Pence.“

„Ich hatte ihn bereits bezahlt, erinnern Sie sich? Kann ich jetzt noch etwas Milch bekommen?“

Es gab Szenenapplaus von den anderen Gästen, als die Dame mit ihrem kalten, aber ausreichend gemilchten Tee von dannen zog. „Die beiden scheinen nicht sehr gut miteinander zu kommunizieren“, sagte sie zu ihrer Freundin. Erster Preis für das Understatement des Jahres.

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