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Den Bruder töten

Gerhart Mall, Sohn pietistischer Eltern aus dem Württembergischen, sollte eigentlich Ingenieur werden. Ihn aber bewegte die Seele und ihre Unwägbarkeit. So studierte er Anfang der dreißiger Jahre Medizin und spezialisierte sich auf das Gebiet der Psychiatrie.

Ein modernes Fach. Gerade in einer Zeit, in der der Mensch in erster Linie als – ingenieurwissenschaftlich gesehen – makelhaftes Produkt der Natur galt. Die Psychiatrie war die Schlüsseldisziplin in der Medizin, mit deren Hilfe alle Abweichungen von der Norm aufgespürt und beseitigt werden sollten.

Das Interesse an der Seelenkunde speiste sich wohl auch aus eigener Betroffenheit: Gerhart Mall spürte, daß er nicht dem nazistischen Menschenideal entsprach. Auf Fremde machte er den Eindruck eines „verschrobenen Psychopathen“. Der angehende Psychiater wußte, daß dieser Befund mindestens sein Karriereende bedeuten könnte.

Gerhart Mall fand einen Weg, seine flirrende Angst vor dem Irrewerden aggressiv zu bekämpfen. Er opferte seinen Bruder Georg, der seit Anfang der dreißiger Jahre mit der Diagnose „Schizophrenie“ in verschiedenen Heilanstalten lebte.

Gerhart Malls hartnäckiges Betreiben machte seinen Bruder zum Opfer des NS-Euthanasieprogramms: Georg Mall wurde am 5. Dezember 1940 in der Heilanstalt Grafeneck vergast.

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