: Recht auf Arbeit
■ betr.: „Die Sträflinge der Arbeits gesellschaft“ von Gabriela Simon, taz vom 3.4. 98
Es ist gut, daß sich jemand bereit findet, sich über „die Sünde der Arbeitslosigkeit“ Gedanken zu machen und das überhaupt thematisiert. Allerdings wäre es an der Zeit, daß Journalisten, überhaupt denkende und schreibende Menschen, nicht mehr von „Arbeitslosigkeit“, sondern von „Erwerbslosigkeit“ schreiben würden. Ich bin 60 und „arbeitslos“, ohne Aussicht bis zu meiner Rente mit 65 auf eine bezahlte Arbeit. Also bin ich erwerbslos und von Sozialhilfe abhängig. Ich habe ja genug zu tun, weil ich in der Kasseler Erwerbsloseninitiative mitarbeite. Wir bezeichnen uns nicht als „arbeitslos“, sondern als „erwerbslos“. Daraus resultiert auch unsere wichtigste Forderung: die Grundsicherung! Peter-Paul Klinger,
Schauenburg
Für viele deutsche Intellektuelle scheint es eine conditio sine qua non zu sein: ein gesellschaftliches Problem – hier die Arbeitslosigkeit – muß innerhalb der bestehenden ökonomischen Verhältnisse gelöst werden. Wie, wenn nicht unter dieser Bedingung, käme die Autorin zu dem Schluß, daß der Weg zu „Arbeit für alle“ nicht nur jetzt, sondern auch für die Ewigkeit versperrt ist? Und wie käme sie, wenn nicht unter dieser Bedingung, zu der Erkenntnis, daß das „Recht auf Arbeit“ immer verbunden ist damit, Menschen für den Arbeitsmarkt verfügbar zu machen?
Alle Erscheinungen am Arbeitsmarkt – sinkende Löhne, unsichere Arbeitskontrakte, mangelnde soziale Sicherungen, Arbeitslosigkeit – setzen doch wohl erst einmal voraus, daß es einen Markt gibt, auf dem die einen ihre Arbeitskraft anbieten und die anderen sie nachfragen. Alle genannten Erscheinungen setzen also bestimmte Produktionsverhältnisse voraus. Eigentumsverhältnisse, was nur ein anderes Wort dafür ist, nützliche Dinge in Waren zu verwandeln. Eigentumsverhältnisse, die selbst Menschen, da sie Träger einer ganz besonderen Ware sind, ihren spezifischen ökonomischen Gesetzen unterwirft. [...]
Seit der „Erklärung der Menschenrechte“ der Vereinten Nationen haben alle Menschen das Recht auf Arbeit, das Recht auf Schutz gegen Arbeitslosigkeit und alle Menschen, die arbeiten, das Recht auf angemessene befriedigende Entlohnung. Die Arbeitslosen kämpfen um wirtschaftliche und politische Zustände, die ihre Rechte Wirklichkeit werden lassen. Sie kämpfen gegen Drangsalierung und Zwangsmaßnahmen, nicht weil sie sich mit der Arbeitslosigkeit abgefunden haben, sondern weil sie es keiner Institution erlauben, sie als Verbrecher zu behandeln.
Die Forderung „Recht auf Nicht-Arbeit“ soll das Treiben derer legalisieren, die nicht willens sind, ihren Verfassungsauftrag in Taten umzusetzen. Es ist darüber hinaus zynisch, etwas zu fordern, das doch in der Wirklichkeit längst durchgesetzt ist. Millionen Menschen werden gezwungen, das „Recht auf Nicht-Arbeit“ anzunehmen. Eine „Grundsicherung“, die ihnen die Autorin zukommen lassen will, ist für diese Menschen längst Alltag. Sie pfeifen auf die „Grundsicherung“. Sie wollen keine von den Reichen und Mächtigen festgesetzten Almosen. Sie wollen Arbeit und einen Lohn, von dem sie selbst und ihre Familien leben können.
Am 20. Juni wird es in Berlin eine Großdemonstration der Aktionsbündnisse von Arbeitslosen und anderen Gruppen geben. „Schluß mit der Selbstentmachtung der Politik zugunsten der Wirtschaft!“ – „Schluß mit der Mißachtung der Lebensinteressen der Menschen zugunsten des Profits!“ – „Schluß mit der Diskriminierung durch Armut!“ – „Schluß mit dem Abbau demokratischer Rechte!“ Das sind die Forderungen.
Aber eine Forderung wird ganz oben stehen: „Neue gerechte Verteilung der Arbeit!“ Die Autorin ist herzlich eingeladen, in Berlin dabeizusein und die Forderungen mit zu vertreten. Vielleicht geschieht ja einmal ein Wunder, daß deutsche Intellektuelle heraustreten aus dem Dunstkreis der Herrschenden und dort mitmachen, wo man unter anderem auch für die Sache der Intellektuellen selbst kämpft. Wolfgang Maul, Nürnberg
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