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Kostbar wie das Leben

Rund um Jericho, die Verwaltungshauptstadt Palästinas, bündeln sich die Probleme mit dem Wasser, der kostbarsten Ressource des Mittleren Ostens. In der Region müssen sich israelische Siedler, palästinensische Bauern, Stadtbewohner und die Menschen in den Flüchtlingscamps das lebensnotwendige Naß teilen, das dieses Jahr extrem spärlich fließt. Hintergründe von Jürgen Berger

ben in Ramallah weht ein leichter Wind. Von hier aus fahren Sammeltaxis in alle Richtungen. Nach Jericho, das dreißig Kilometer entfernt und fast so tief liegt wie das Tote Meer, fällt die Straße ins Jordanbecken tausend Meter ab. Verläßt man das Auto, schlägt die Hitzekeule einer Region zu, in der sich auf engem Raum die Probleme mit der Ressource Wasser bündeln. Wasser ist rar im Mittleren Osten und Objekt unterschiedlicher nationaler Machtansprüche. Europäische Experten orakeln immer wieder, der nächste Nahostkonflikt könne zum Krieg um Wasser eskalieren. Ein dunkles Szenarium, das insofern realen Gehalt hat, als die Wasserrechte der Region in den israelisch-palästinensischen Verhandlungen über den endgültigen Status der Autonomiegebiete die größte Sprengkraft besitzen. „Israelische Tiefbrunnen senken den Grundwasserspiegel, und dann ist in diesem Winter auch noch der Regen ausgeblieben“, sagt Annette van Edig vom Bonner Zentrum für Entwicklungsforschung, die in einer Feldforschung die Wasserversorgung der Bevölkerung im Westjordanland untersucht.

Wir stehen vor der kommunalen Quelle Ain Al-Sultan am Ortsausgang von Jericho, von der aus das Wasser über ein Kanal- und Schleusensystem auf die Felder geleitet wird. Die Verteilung erfolgt gemäß osmanischem Recht: Man bezahlt einmal, behält die Wasserrechte lebenslang und kann sie vererben. Es gibt Familien, deren Rechte historisch sind. Einer der Urahnen erwarb sie, also werden die Schleusen bis heute in unterschiedlichen Wochenintervallen geöffnet.

Die Geschichte der Quelle, die als wasserreichste im Westjordanland gilt, läßt sich bis ins 9. Jahrhundert vor Christus zurückverfolgen. „Siehe, es ist gut wohnen in dieser Stadt, wie mein Herr sieht, aber es ist böses Wasser und es macht unfruchtbar“, heißt es im zweiten Buch der Könige über den damals verseuchten Quell. Der Prophet Elisa soll das Problem mit einer Schale Salz gelöst haben, heute liefert die Idylle in sonst karger Landschaft das beste Trinkwasser der Region.

In der schmalen Einfahrt steht gerade ein Tanklastwagen. Sein Besitzer tankt auf, um das Wasser weiterzuverkaufen. Eine Preiskontrolle gibt es nicht, aber, so Abu Omar, eine Pipeline in die Stadt hinein sei bereits verlegt und müsse nur noch in Betrieb genommen werden. Omar ist für die technische Wartung der Quellpumpe zuständig, kennt alle Probleme und Tricks um die kostbare Ressource und hat einen derart wichtigen Job, daß er in Deutschland wohl einen leitenden Verwaltungsbeamtenposten hätte.

Bevor wir uns verabschieden, erklärt er noch den Pferdefuß der osmanischen Wasserstunde: Man habe zwar Anspruch auf die festgelegte Menge Wasser pro Stunde. Versiege der Strom aber aufgrund von Trokkenheit, bekomme man entsprechend weniger. Und die Unterschiede könnten bis zu zweihundert Kubikmeter betragen.

chlechte Voraussetzungen für die Landwirtschaft, während die umliegenden israelischen Siedlungen mit Tiefbrunnen versorgt werden, die immer dieselbe Menge Wasser aus tiefer liegenden Wasserschichten abpumpen, damit aber auch den Grundwasserspiegel sowie die Wassermenge palästinensischer Quellen senken.

Auswirkungen sind etwa zehn Kilometer vor Jericho zu sehen, wo in den Bergen die Al Auja entspringt. Schon von der Ebene aus fällt ein pfeilgerader Kanal auf, der das Wasser in die Tiefe leitet. Unten am Kanal meint man, auf ein veritables Wasseridyll inmitten der trockenen Landschaft gestoßen zu sein. Bauernkinder turnen auf dem Kanalrand, bespritzen sich gegenseitig und fangen Fische, die es oben in die Wasserschanze gezogen hat.

Das Bild allerdings trügt. Nur am Kanalboden rauscht es erfrischend, an der Kanalwand sieht man wie bei einem ausgetrockneten Flußbett, bis zu welchen Marken das Wasser früher reichte. Und etwa zweihundert Meter weiter, kurz vor der Stelle, wo die Al Auja entspringt, stößt man auf einen der irsaelischen Tiefbrunnen, die in den Wasserverhandlungen zum Zankapfel werden können: Ein mit Stacheldraht und Zäunen geschützter Hochsicherheitstrakt, aus dem Pipelines zu den umliegenden israelischen Siedlungen abgehen.

Ein Problemfeld für das palästinensische Wasserministerium, dessen Mitarbeiter auch intern vor einem Problembündel stehen und in den Autonomiegebieten selbst Überzeugungsarbeit leisten müssen. „Vor allem innerhalb der palästinensischen Bauernfamilien gibt es einen fest verwurzelten Glauben an traditionelle Wasserrechte. Man wird den Menschen also vermitteln müssen, daß Wasser zwar ein Grundlebensmittel ist, aber wie Strom bezahlt werden muß“, sagt Annette van Edig, deren Untersuchung auch Grundlage der bilateralen Verhandlungen sein werden. Sollten sich Israelis und Palästinenser in den nächsten Jahren über Wassermengen einigen, wird die Wasserbehörde in Ramallah mit dem Problem umgehen müssen, daß sie in den selbstverwalteten Gebieten keinen einheitlichen Tarif einführen kann. „Wir ermitteln gerade in einer Pilotstudie, wie die Sozialstrukturen in den Gemeinden sind und wer wieviel für den Kubikmeter Wasser bezahlen kann. Dann erst können wir Minimal- und Maximalpreise festlegen“, hatte uns Fadia Daibes vom Wasserministerium erklärt.

In der Ebene unterhalb der Al-Auja-Quelle treffen wir dann einen Mann, dessen traditionelles Weltbild im Fall einer staatlichen Regelung beträchtlich ins Wanken geriete. Ibrahim Garadat, das etwa siebzig Jahre alte Oberhaupt einer Bauernfamilie. Er fährt mit uns zu einem seiner Bananenfelder und zeigt uns vertrocknete Stauden. Bis auf ein Feld sei dieses Jahr seine gesamte Bananen-, Gurken-, Tomaten- und Auberginenernte vertrocknet, und das, obwohl er Wasserrechte von drei Stunden alle vier Tage habe. Das Problem: Die Al Auja führt dieses Jahr nicht genug Wasser, so daß es ihm wenig nützt, wenn er auf seine unumstößlichen Wasserrechte pocht. „Ich habe sie von meinem Vater und dessen Vater und dessen Vater geerbt. Das ist in unserer Familie schon so seit tausend Jahren und wird auch so bleiben“, sagt Ibrahim und daß dieses Jahr alle Bauern mittlerer Größenordnung ihre Ernte verloren hätten. Nur an den ganz großen Familien mit Wasserrechten bis zu zwanzig Wochenstunden sei der Kelch vorbeigegangen.

rinkwasser kauft seine Familie zum Teil bei der israelischen Wasserversorgungsfirma Mekoroth, die für das Wasser aus dem nahen Tiefbrunnen allerdings vier Shekel (etwa zwei Mark) pro Kubikmeter verlangt. Und natürlich von den Tanklastern, die Wasser aus der Al-Sultan-Quelle bringen, drei Shekel pro Kubikmeter Wasser verlangen, ihren Tankfuhren aber kein Chlor beigeben, so daß hier Amöbengefahr besteht. Zwar sei das Wasser aus der kommunalen Quelle billiger als bei Mekoroth, die Tanklastzüge kämen allerdings viel unregelmäßiger, erklärt Ibrahim, dem es im Fall von Trinkwasser grundsätzlich nicht besser geht als den Bewohnern des Flüchtlingscamps Ain Al-Sultan.

Das Camp liegt am Stadtrand von Jericho; letzte Station unserer Wasserexkursion. In den letzten Jahren haben sich die meisten der Flüchtlinge hier eingerichtet. Familie Al-Gamal etwa, die wir besuchen, bewohnt ein kleines Haus mit Garten. Familienvater Hani transportiert als Lastwagenfahrer Baumaterial. Im Verlauf des Gespräches kommen die sechs Kinder aus der Schule zurück. Ehefrau Leila erzählt, daß die Familie häufig mit Wasser aus der Quelle Ain Dyuk direkt oben am Berg vorlieb nehmen muß. Dort fließt das Wasser in einem offenen Kanal und ist extrem verschmutzt. Die Folge des Konsums von Wasser, das eigentlich nur zu Brauchwasser taugt: Alle haben Amöben. „Das Problem hier im Flüchtlingscamp ist, daß vor einigen Jahren ein großer Trinkwasserspeicher gebaut wurde, der allerdings nicht funktioniert“, sagt Annette van Edig. Und daß die Menschen eigentlich vollständig auf die Tanklastwagen der kommunalen Quelle angewiesen seien, da die offene Leitung der Ain-Dyuk-Quelle mehreren Bauern gehöre.

Zwei Interessen stehen sich gegenüber: Die Bauern wollen ihre Felder bewässern, während die Campbewohner Brauchwasser benötigen, heimlich Wasser in ihre Speicher abpumpen, im Sommer aber wieder damit leben müssen, daß die Quelle an manchen Tagen versiegt. Einer staatlichen Regelung allerdings sieht Leila mit Sorge entgegen und befürchtet, die Konflikte mit den alteingesessenen und mächtigen Bauern könnten sich verschärfen. Ihr Mann dagegen argumentiert: „Für die Bäume reicht das Wasser, also muß es auch für uns reichen.“

Ein gewichtiger Satz, vor allem angesichts der Seilbahn, die über die Siedlung hinweg zum knapp vierhundert Meter hohen Djebel Quarantal schwebt und Touristen zum griechisch-orthodoxen Kloster Quarantana befördert. Das Kloster scheint in der Felswand zu kleben, oben auf dem „Berg der Versuchung“ soll die moralische Standfestigkeit Jesu auf die Probe gestellt worden sein. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern auch von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht“, erwiderte der Gottessohn nach mehr als einmonatigem Fasten, als der Teufel meinte, er solle doch aus Steinen Brot machen. – Ein souveräner Verzicht und ironischer Kommentar auf die Realität knapp zweitausend Jahre später: Auf die Seilbahn hoch zur spirituellen Stätte, die sie selbst nie benutzen werden, könnten die Menschen im Flüchtlingslager durchaus verzichten, wenn sie dafür Wasserleitungen bekämen.

Jürgen Berger, 44, ist freier Journalist und berichtet seit mehreren Jahren aus Palästina und Israel

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