: Backöfen gegen den Kapitalismus
Und Brote verschenken, bis die Polizei eingreift: Eine Ausstellung über „Global Conceptualism“ im New Yorker Stadtteil Queens schlägt den Bogen zwischen westeuropäischen Kunstbetriebskritikern und politischen Aktivisten von der Peripherie ■ Von Ulrich Gutmair
Von der Hochbahn aus betrachtet ist der nordöstliche Teil von Queens eine idyllische Gegend voller Holzhäuser, weit weg von den Zentren der Manhattaner Finanzwelt, aber auch nicht gerade ein Ort, an den sich Kunstpublikum verirrt. Hier, in Flushing Meadows, befindet sich das Gelände der Weltausstellung von 1964. Unter der Woche herrscht Beschaulichkeit in der großen Parkanlage, die erst zum Weekend für die Leute aus den umliegenden Communities zum bevorzugten Picknickareal wird. Dann kommt es auch vor, daß mehr als die durchschnittlichen fünf Besucher das hier residierende Queens Museum of Art besuchen.
Die von einem Kuratorenteam betreute Ausstellung „Global Conceptualism: Points of Origin, 1950s – 1980s“ hätte sich vermutlich keinen besseren Ort aussuchen können als diese merkwürdige Grauzone zwischen Metropole und Peripherie. Auch die „Points of Origin“ von multiplen Ansätzen, die die Ausstellung rückwirkend unter Konzeptkunst zu subsumieren sucht, sind da, wo man sie nicht unbedingt vermutet: unter anderem in Südamerika, Asien oder den Ländern des Ostblocks. Die afrikanische Sektion wurde vom Leiter der kommenden documenta, Okwui Enwezor, kuratiert.
„Global Conceptualism“ zeichnet die Geschichte der verschiedenen Ansätze von „institutional critique“ bis zum politischen Aktivismus der zum eigenen Zentrum gewordenen Peripherie als Geschichte eines kritischen Projekts nach. Damit wird der traditionelle Kanon um eine explizit politische Dimension erweitert. Eine historische Tour führt an Gemälden, Installationen, Fotos, Dias und Künstlerbüchern vorbei. Materielle Kunstwerke und Dokumentationen von Aktionen halten sich dabei die Waage und werden durch erläuternde Texte ergänzt.
Die westeuropäische Sektion versucht Konzeptualismus an die situationistische Kritik der spektakulären Ökonomie anzuschließen, zeigt aber mit Debord, Buren, Broodthaers etc. eher unspektakulär mehr oder weniger Bekanntes. Das „wahrscheinlich einzige Beispiel offener politischer Aktivität in der Geschichte des westeuropäischen Konzeptualismus“, das Kurator Claude Gintz festmachen kann, ist eine nachbearbeitete Landkarte der Grup de Treball. Diese markiert die verschiedenen Wege durch Barcelona, auf denen die faschistische spanische Polizei 1973 Teilnehmer der sich eben gegründeten Katalonischen Versammlung in Gefängnisse abführte.
Die auf Fotos und Flyern dokumentierte „Revolution“ der japanischen Gruppe Bikyoto („Dismantle the power machine of art!“) oder die gefaketen Yen-Scheine von Akasegawa Genpei, die dem Künstler eine Anklage einbrachten, beschäftigen sich dagegen vor allem mit dem Kunstbegriff der Moderne und der ideologischen Verfaßtheit der Position des Künstlers. Die Parallelen zu westlicher Konzeptkunst, die als Hinterfragung kultureller Codes, etwa in den Arbeiten von Kosuth, konzipiert wurde, sind unübersehbar. Im Katalog stellt Stephen Bann diesbezüglich die Hypothese auf, in einer globalisierten Welt sei „Konzeptualismus“ gerade der Beweis dafür, daß es die westliche Hegemonie so nicht mehr gebe.
Die aus Osteuropa und der Sowjetunion gezeigten Arbeiten wiederum sind vor dem Hintergrund der Abwesenheit von Institutionen, Kritikern und Publikum vor allem Zeugnisse privater Praktiken. Deren historische Rechtfertigung lag in der Ideologiekritik und der Erarbeitung einer neuen Sprache, die 1989 für den demokratischen Untergrund nutzbar gemacht werden konnte, wie László Beke glaubt. Auch in den Arbeiten von Tamás Szentjóby, wie etwa „Czecho-Slovakian Radio 1968“, spiegelt sich eine Idee von Öffentlichkeit nur retrospektiv: Als die Rote Armee in Prag einmarschierte, beschlagnahmte sie die portablen Transistorradios der Bevölkerung. Die trug als Zeichen des Protests daraufhin Ziegelsteine unter dem Arm spazieren – und Szentjóby erklärte einen in eine Zeitung eingewickelten Stein solidarisch zum Kunstobjekt. Dessen Anwesenheit in einer Vitrine erhält ihren Sinn heute allerdings nur noch durch ein ausführliches Textdisplay, das die historischen Umstände erhellt.
Nicht allein um die Analyse sozialer Realität, sondern um deren aktuelle Veränderung ging es dagegen den lateinamerikanischen Avantgardisten, die vor dem Problem standen, die Idee von avantgardistischer Praxis als einem bloßen Import zu überwinden: Der Brasilianer Cildo Meireles etwa nahm einen simplen Stempel und bedruckte 1973 Geldscheine mit der Frage: „Quem matou Herzog?“ Wer tötete Herzog? Der Journalist Herzog war im selben Jahr in den Folterkellern des Regimes umgebracht worden.
Die Idee des Geldscheins als massenwirksames Medium des Protests würde man heute wohl als taktischen Einsatz von Medien bezeichnen. Wie viele andere Aktionen aus Lateinamerika verweist das Exponat von Meireles damit auf die gerne übersehene Verwandschaft zwischen Medienaktivismus und Konzeptkunst, die auch „Global Conceptualism“ nicht weitergehend thematisiert. Nicht von ungefähr bezeichnete sich eine ganze Linie lateinamerikanischer Konzeptkunst selbst als arte de los medios, also Kunst der (Massen-)Medien. Meireles sah das Ziel seiner Aktivitäten in transgressão, der Transgression des realen Raums oder seiner ideologischen Repräsentation.
Während Konzeptkunst in den Zentren der industrialisierten Welt eher selbstreflexiv agierte, dominierte an der Peripherie die Auffassung, daß es um eine „Reinterpretation der sozialen und politischen Strukturen gehen müsse, in die sich Kunst einschreibt“. So Mari Carmen Ramirez, die die lateinamerikanische Sektion kuratiert hat. Abgesehen von Ramirez' Katalogtext macht „Global Conceptualism“ aber nur implizit klar, daß eine aktivistische Auffassung von Konzeptkunst vor allem dort als relevant erachtet wurde, wo das vom Westen ausgehende Projekt der Modernisierung scheiterte bzw. sich nur mit Gewalt durchzusetzen vermochte. Wie etwa in Chile, wo die Diktatur als Projekt der „Marktöffnung“ betrieben worden war.
So verstehen sich die blutigen Bündel, die Artur Barrio 1970 in Rio de Janeiro verstreute, nicht als Kunstwerke, sondern als Katalysatoren sozialen Verhaltens. Die Reaktionen der Passanten faßte Barrio in einer Diaserie zusammen. Hinter solchen Aktionen stand die Idee, daß die Sinne der zufällig Partizipierenden soziale Organe sind, die in provozierten Situationen auf ihren Konformismus hin getestet und diesbezüglich destabilisiert werden können – eine semiotisch zugespitzte Form der Stadtguerilla. Anhand einer Fotoserie läßt sich auch die „Konstruktion eines traditionellen Bauernofens zum Brotbacken“ des Argentiniers Victor Grippo nachvollziehen, die sich gegen den Kapitalismus als diktatorisch herrschende Form wandte. Mit Freunden installierte er einen Ofen im öffentlichen Raum und verschenkte Brote, bis die Polizei die Aktion beendete.
Ähnliche Beispiele einer aktivistischen Konzeptkunst findet „Global Conceptualism“ auch in der agitatorischen Volkskunstbewegung (Min Joong) Süd-Koreas, die sich am Design neuer Protestformen der Massenbewegungen der 80er Jahre beteiligte. In Afrika identifiziert Okwui Enwezor den nigerianischen Popmusiker Fela Kuti als „Konzeptualisten“, der nie gewillt war, zwischen seinem täglichen Leben, der Musik und politischem Widerstand eine Trennlinie zu ziehen. Er erklärte seinen Komplex aus Wohnräumen, Nachtclub und Studio in den frühen 70ern zur unabhängigen Republik Kalakuta, in der jede Aktion erlaubt und nigerianisches Recht für null und nichtig deklariert wurde. Kuti wiederholte den Akt der Dekolonialisierung damit gegenüber einem korrupten postkolonialen Regime. Er illustriert so die Idee, Institutionen generell als hegemoniale Diskurse zu begreifen.
Angesichts der historischen Aufarbeitung einer sich selbst als politisch verstehenden und außerinstitutionell agierenden Kunst durch „Global Conceptualism“ wird vor allem das Paradox deutlich, in dem sie sich befindet. Als Teil eines definitorisch begrenzten gesellschaftlichen Subsystems bleibt sie zur Ästhetik verdammt. Zumindest bleibt ein Künstler immer ein Künstler. Ironischerweise findet sich der letzte Beweis hierfür im inneren Drang der Akteure, sich selbst zu dokumentieren, egal wie weit ihr Aktivismus die Kunstwelt auch schon verlassen haben mochte. Am Ende muß ihnen das Bedürfnis zum Nachweis der eigenen Aktion entweder den Vorwurf einhandeln, sich heimlich schon immer als Teil eines Kunstdiskurses verstanden zu haben. Oder das vage Lob, vorausschauendes Geschichtsbewußtsein bewiesen zu haben. „Global Conceptualism: Points of Origin, 1950s – 1980s“, bis 29. 8., Queens Museum of Art, New York. Danach: Walker Art Center, Minneapolis, 19. 12. 1999 bis 5. 3 2000
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