: Bonner Autolobby aufgefahren
Die EU-Botschafter einigen sich auf einen Kompromiß zur Altautoverordnung. Nur der deutsche ist dagegen. Grüne fordern: Ohne Nachkarten akzeptieren! ■ Von Patrik Schwarz
Berlin (taz) – Jürgen Trittin kann verschnaufen. Nachdem Gerhard Schröder monatelang nichts unversucht gelassen hatte, die geplante EU-Altautoverordnung zu verhindern, hat er jetzt offenbar klein beigegeben. Noch im Juni war es zu Auseinandersetzungen in der Koalition gekommen, weil der Bundeskanzler seinen Umweltminister verpflichtet hatte, die Verordnung gegen seine Überzeugung abzulehnen. Seit Donnerstag abend gibt es einen Kompromiß, dem alle EU-Botschafter in Brüssel zugestimmt haben – bis auf den deutschen. Trotzdem begrüßte die Bundesregierung die Einigung zähneknirschend als „Teilerfolg“ der deutschen Politik. Von weiterem Widerstand war keine Rede.
Nun soll die Autoindustrie verpflichtet werden, alle künftig produzierten Wagen ab 2001 und alle bereits ausgelieferten ab 2006 kostenlos zu entsorgen. Gegenüber dem umstrittenen Entwurf vom Juni verlegten die EU-Staaten damit den Termin für den Auto-Altbestand um drei Jahre nach hinten. Die Entscheidung muß noch vom Rat der Umweltminister abgesegnet werden und die Zustimmung des Europaparlamentes finden. Doch seit der Erklärung des kanzlerhörigen Bundespresseamtes herrscht selbst in Trittins Umfeld Zuversicht, daß die Kompromißformel Bestand hat. „Die Sache ist gegessen“, sagt einer, „die Regierung hat sich damit abgefunden.“ Eine andere Vertraute geht „nicht davon aus, daß da seitens des Kanzleramtes noch mal groß mobilisiert wird“.
Anders als vor einigen Wochen war es dem Kanzleramt diesmal nicht gelungen, genügend europäische Partner für ein Veto auf seine Seite zu ziehen. Im Juni hatten Schröder-Mitarbeiter die Regierungen Spaniens, Großbritanniens und Frankreichs bedrängt, den Bedenken deutscher Autohersteller Rechnung zu tragen. Vor allem VW-Chef Ferdinand Piäch aus Schröders Heimatland Niedersachsen stand wiederholt im Kanzleramt auf der Matte, um die Verordnung zu verhindern. Während die Umweltministerin Dominique Voynet von den französischen Grünen gegenüber dem Druck aus Bonn standhaft blieb, gaben Briten und Spanier kurz vor der entscheidenden Sitzung nach. Damit gab es im Ministerrat plötzlich eine Sperrminorität.
Fatal war dieses Abstimmungsergebnis vor allem für Trittin. Er hatte mit einem Trick gehofft, sowohl dem Befehl des Kanzlers als auch dem grünen Wunsch nach einer Altautoverordnung zu entsprechen: Der Minister setzte darauf, von seinen autoskeptischeren EU-Kollegen überstimmt zu werden. „Ablehnung, wenn Zustimmung gesichert“, hieß die Methode im Trittin-Lager. Doch der erfahrene Demo-Organisator hatte die Mobilisierungskräfte der Schröder-Mannschaft unterschätzt. Ihn selbst kostete das fast den Job.
Wer derart seine Prinzipien verrate, müsse zurücktreten, forderten die grünen Haushaltspolitiker Reinhard Loske und Christine Scheel. Grünen-Chefin Antje Radcke, wie Trittin vom linken Parteiflügel, wollte die Schuld nicht auf ihn allein abwälzen. Sie gestand hinterher ein, daß Partei und Fraktion gleichermaßen von Schröder übertölpelt worden seien: „Wir sind da alle ziemlich blind reingelaufen und haben eine Bruchlandung erlitten.“
Damit sich jetzt das grüne Desaster nicht in letzter Minute wiederholt, hat die Wirtschaftsexpertin der Bundestagsfraktion, Michaele Hustedt, die Regierung bereits aufgefordert, den EU-Kompromiß „ohne Nachkarten“ zu akzeptieren. Der Verband der europäischen Automobilhersteller will unverändert gegen die Richtlinie angehen. Der Industrie würden damit knapp dreißig Milliarden Mark an Entsorgungskosten aufgebürdet. Empört zeigten sich auch die deutschen Autohersteller. Im Umweltministerium hält sich das Mitleid in Grenzen. Der Kompromiß drücke niemandem den Hals zu, heißt es. „Und daß die Autobosse Krokodilstränen weinen, gehört doch zu ihrem Job.“
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