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15 Stunden Rauschen

■ Im zweiten Eid-Prozess spielen Abhörprotokolle die Hauptrolle. Doch die Tonqualität ist mieserabel, und die Dolmetscher können sich nicht einigen

Kiel (taz) – Erst verhedderten sich die Verlängerungskabel, dann kam aus den Boxen ein Geräusch, als kratze jemand Angebranntes aus einem Kochtopf. Schließlich war der Ton kurzzeitig ganz weg. Aber das mehrheitlich deutschsprachige Publikum verstand ohnehin wenig – denn es ging um arabische Gespräche, genauer gesagt um Abhörprotokolle, gestern vor dem Kieler Landgericht.

Geführt hat diese Gespräche der Libanese Safwan Eid mit Angehörigen im Frühjahr vor drei Jahren. Damals saß Eid in Untersuchungshaft, die Staatsanwaltschaft bereitete die Anklage gegen ihn vor. Eid soll im Januar 1996 in Lübeck eine Flüchtlingsunterkunft, in der er selbst lebte, in Brand gesteckt haben. Zehn Menschen starben.

Die Staatsanwaltschaft hoffte, Eid werde möglichwerweise gegenüber seiner Familie die Tat gestehen – und ließ die Gespäche heimlich mitschneiden. Zu Unrecht, argumentierten im späteren Strafprozess die Richter, lehnten die Bänder als Beweismittel ab und sprachen Eid aus Mangel an Beweisen frei. Falsch, entschied der Bundesgerichtshof. Seit zwei Wochen muss deswegen ein zweites Gericht, Kiel, den Fall neu verhandeln, die Abhörprotokolle gelten als das entscheidende Belastungsmaterial.

Entsprechend sorgfältig hat der Vorsitzende Richter Jochen Strebos den Verhandlungssaal in ein Sprachlabor verwandelt: Stereoanlage, Boxen, Kopfhörer, Tontechniker. Und zwei unabhängige Sprachsachverständige des Arabischen. Herr Yachoua aus Wiesbaden und Herr Wannous aus Berlin sind nun dazu verdonnert, sich durch 15 Stunden Gespräche miserabelster Tonqualität zu quälen. Strebos lässt in Zwanzigsekundensequenzen übersetzen. Erst Wannous, dann Yachoua.

Sawfan Eid spricht Arabisch mit libanesischem Dialekt, Wannous und Yachoua sind gebürtige Syrer. Doch Strebos ist ein optimistischer Mensch: Bei Differenzen in der Übersetzung sollen sie halt „argumentieren“ und sich möglichst auf eine gemeinsame Version einigen. Der Streit zwischen den Gutachtern ist bereits bei den ersten belanglosen Abhörsekunden perfekt. „Sie stehen dir bei“, will Wannous verstanden haben. „Sie arbeiten für dich“, heiße es richtig, so Yachoua. Was nun?

Und überhaupt: Wer sind „sie“? So geht das stundenlang. Den Verteidigerinnen von Sawfan Eid reichen diese ersten Eindrücke für ihr Urteil. „Herr Yachoua“, nuschelt Anwältin Barbara Klawitter, sei doch sowieso „befangen“. Yachoua hatte mit seiner ersten Übersetzung, die auch dem Bundesgerichtshof vorlag, Eid schwer belastet. Nun soll er deswegen öffentlich von den Anwältinnen demontiert werden. „Sie arbeiten für das Bundeskriminalamt“, stellt Anwältin Gabriele Heinecke fest und folgert: „Da weiß man ja nie, was die wahre Geschichte ist.“ Irgendwann wird es selbst dem Richter zu bunt: „Die Grenze des Zulässigen ist überschritten.“ Dann lässt er die Übersetzung fortführen – Ende offen. Heike Haarhoff

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