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Stoiber erteilt den Ritterschlag

„Auch das ist Bayern!“: Nach dem 1:1 gegen Hertha ist man bei der SpVgg Unterhaching nun fest überzeugt, in der Bundesliga mithalten zu können  ■   Aus Unterhaching Thomas Becker

Fußballfans sammeln ja gern, vor allem Autogramme. Vom Stürmer, der gleich drei Dinger versenkt hat. Vom Teufelskerl im Tor, der mal wieder den Sieg gerettet hat. Oder vom Ballstreichler, der die Freistöße immer so schön über die Mauer zwirbelt. Am Samstag ist eine neue Kategorie dazugekommen: Ministerpräsident. Zumindest in Unterhaching ist das so. Da verweilt der notorisch unter Zeitdruck stehende Edmund Stoiber nach der Partie gegen Hertha BSC eine geschlagene Viertelstunde vorm Fanblock der SpVgg und schreibt Autogramme: auf Schirme, Schals und vor allem auf, tja, Autogrammkarten. Als der Vorrat erschöpft, das grölende, feixende Publikum aber noch nicht zufrieden ist, muss ein Adjutant Nachschub holen. Und weiter gehts: „Herr Stoiber, Herr Stoiber!“

Manche Klischees sind einfach nicht zu widerlegen: In Bayern ticken die Uhren anders. In Unterhaching erst recht. Da klatschen die Leute tatsächlich, wenn der Ministerpräsident zu Besuch kommt. Applaus für einen Politiker – und das im Fußballstadion. Aber der Landesvater gibt ja auch brav zurück: Von einem „Märchen“, das hier passiert sei, redet er. Von der beharrlichen Arbeit, die ihm ja so viel Hochachtung abnötige. Von der Stimulanz für die Landesligen. Den rhetorischen Gipfel erreicht er im Ausspruch: „Auch das ist Bayern!“ Während Stoibers Elogen steht Vereinspräsident Engelbert Kupka daneben und weiß nicht so recht, was für ein Gesicht er machen soll. Der Ministerpräsident, sonst nur auf der VIP-Tribüne des FC Ruhmreich zu sehen, im Hachinger Sportpark – das ist der Ritterschlag: Jetzt gehört ihr wirklich dazu.

Auf dem Spielfeld hat sich das längst herumgesprochen. Gegner Hertha BSC hatte gegen den vermeintlichen Außenseiter eine Sonderprämie ausgelobt – wegen der Motivation. Letzten Dienstag gegen Chelsea, nächsten Dienstag gegen AC Mailand: Wie soll man da eine SpVgg Unterhaching ernst nehmen? Die spielte zur Vorbereitung statt Champions League gegen den weniger renommierten A-Ligisten SV Gmund, gewann 25:1 und hätte auch die Hertha fast besiegt. Für Hachings Trainer Lorenz-Günther Köstner fast so wichtig wie der Punktgewinn: Zu sehen, dass man auch mit solchen Teams mithalten kann.

Dabei boten die Berliner beileibe keine so müde Vorstellung wie der ebenfalls viel beschäftigte FC Bayern bei seinem peinlichen 0:1-Gestolpere gegen den VfB Stuttgart. Frisch und hellwach war die Truppe aus dem Bus gestiegen, kontrollierte die ersten Sturmläufe der Hachinger und erzielte in der 24. Minute als erste Bundesligamannschaft im Sportpark ein Tor gegen die Heimelf. Ausgerechnet Thomas Helmer, der nach seiner Aussortierung beim FC Bayern partout nicht in Unterhaching spielen wollte, traf zur Überraschung aller per Kopf von der Strafraumgrenze aus. Eine Minute später landete ein 20-Meter-Schuss fast an der selben Stelle – Kai Michalke hatte allerdings ein wenig schlechter gezielt und nur den Pfosten getroffen. Da vergingen den 10.000 Zuschauern kurzzeitig die Anfeuerungsrufe, die hier manchmal noch so sympatisch unspektakulär sind wie zu Amateurzeiten: „Haching vor, noch ein Tor.“

Der ersehnte Treffer fiel dann so schnell, dass der Stadionsprecher kaum mitkam. Nach der Pause verkündete er die Auswechslung des erneut schwachen Spielmachers Markus Oberleitner zugunsten von Publikumsliebling Alfonso Garcia. Das „a“ am Ende hatte er noch nicht richtig ausgesprochen, da hatte der neue Mann schon ins Tor getroffen. Es war seine zweite Ballberührung in der Bundesliga. Zweimal durfte er bislang mitspielen: Einmal kam er in der 87.Minute rein, einmal in der 90. Minute, jeweils für Jochen Seitz. Der revanchierte sich nun, legte von rechts vor, und Garcia schummelte den Ball irgendwie unter Hertha-Keeper Gabor Kiraly hindurch ins Netz. Es sollte der Auftakt zu einer fulminanten zweiten Hälfte sein, an deren Ende es auch 4:4 hätte stehen können.

Den letzten Auftritt hatte wieder Garcia, doch sein Kopfball landete am Pfosten, den Nachschuss parierte Kiraly. Trotzdem durfte sich der schwäbelnde Spanier Garcia, den die Fans seit Jahren „Fonse“ rufen, feiern lassen. Und Autogramme schreiben. Von so einem muss man einfach eins haben.

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