: Haaalo, ist da jemand?
■ Drei Preisträger des Bremer Videokunstpreises 1997/98 zeigen ihre mittlerweile fertiggestellten Arbeiten in der GAK
Video, Neue Medien, Interaktion: Da wird die Kunst zum reich gedeckten Zugreif-Büffet. An dem darf sich der Rezipient höchstselbst sein Menü zusammenstellen, ein biss-chen hiervon, ein biss-chen davon, und am Ende kommt ein unerhört neues Soufflé oder, noch besser, unendlich viele unerhört neue Soufflés dabei heraus, dank der einzigartigen Kreativität von uns, den Rezipienten, und der spannenden Rückkopplungseffekte zwischen uns und der Kunst. Wir alle werden zu Mitkompositeuren und die Museen zu Abenteuerspielplätzen. So etwa träumte man sich's 1980.
Wir schreiben das Jahr 1999. Das Beamen wurde immer noch nicht erfunden. Und die Idee der Interaktion eignet sich bestenfalls zur Selbstpersiflage. Zum Beispiel in der Installation „Enter“ der Brasilianerin Claudia Medeiros. Ein fett im Raum stehendes Mikro lädt den Besucher zum Quatschen ein. Da dieser erstens gutmütig, zweitens solche Aufforderungen zur freiwilligen Selbstveralberung seitens der zeitgenössischen Kunst gewohnt ist, geht er hin und ruft „Haaalo“ wie Wim Tölkes Hund WUM (99% aller Besucher rufen „Haaalo“, ein Prozent sagt „Mitternachtszahnbürste“).
In einem Bildschirm steckt Claudia Medeiros. Statt ordentlich zu interagieren und „Holla“ oder „Sommernachtskaries“ zu sagen, äfft sie uns nach. Ihre Lippen formen ein stummes „Haaalo“, manchmal auch nur ein „Hüps“; das ist dann die Schuld vom lausigen Bill Gates und Microsoft. Im Museums-Faltblatt heißt es dazu, dass „der Besucher durch ein gehorsames technisches Gegenüber auf sich selbst zurückgeworfen wird“. Rein technisch handelt es sich bei der „Selbstzurückgeworfenheit“ um einen komplizierten, oft auch unappetitlichen Vorgang. Man reißt sich z.B. ein Bein aus, hält es mit gestreckten Armen möglichst weit vom Körper weg, um es sich dann ins Gesicht zu schleudern. Aber auch sonst kennt jeder Mensch natürlich dieses unerquickliche Beisammensein mit einem nervtötenden Langweiler namens ICH. Da genügt ein Sonntagsspaziergang. Trotzdem ist „Enter“ okay. Gibt es eben noch ein Kunstwerk mehr, das Habermas' Idee vom offenen, herrschaftfreien Diskurs hinterfragt. Obwohl: Hinterfragen ist meist noch nervtötender und langweiliger als unser guter, alter Kumpel ICH.
Auch Achim Mohnè unterwandert die Stärken des Mediums Video, allerdings gewitzter. Digitale Schnittplätze ermöglichen mittlerweile mit ein paar idiotensicheren Mouseklicks superkluge, punktgenaue Bild-Ton-Kompositionen. Doch Mohnè rückt dem Videoband metzgermäßig mit Schere und Patex zu Leibe. Und erst seine fettigen Finger und spitzen Fingernägel. Aus einer repräsentativen Auswahl von 70er-Jahre-Kino- und TV-Müll klebt er in altmodischer Bastelarbeit Videoschnipsel aneinander, die schon mal Kopf stehen oder rückwärts laufen. Der Zufall jagt dabei gerne mal Weihnachts-Halleluja und letales Lebensabschnittsröcheln aufeinander oder Trash und Politikergetratsche. Irgendwie eine sehr sympathische 70er-Jahre-Haltung: Die Welt ist Schwachsinn – von den Nachrichten bis zur Gameshow; lasst uns darüber schmunzeln, unseren Schabernack treiben und alle Bänder zu unentwirrbarer Daten-Entropie aufhäufen.
Wo Schabernack ist, ist Silke Thoss nicht weit. Statt mit unseren eigenen Beinen auf uns zu werfen und die Möglichkeit der Kommunikation zu hinterfragen, verkauft sie die schlechtesten Bilder aller Zeiten mit Blümchen, Kuh und zwei Stück Busen für 20/40 Mark aus einem Bauchladen. Ihre Grundthese, vermutlich: Jeder Kitsch ist zu retten, wenn man ihn nur ein wenig härtet, beschleunigt, verdreckt – miese Bildmotive und selbst Countrymusik.
Seit zwei Jahren arbeitet sie in allen denkbaren Medien – Musik, Film, Comic, Budenzauber-Installation, Bild - an der fiktiven Biografie einer Country-Sängerin. Die heißt zufälligerweise Silky Toss; und manchmal kommt es schon so weit, dass sich Silke für Silky irgendein Abenteuer ausdenkt (zum Beispiel Deutschlandreise mit Wohnmobil), um es dann am Ende selber zu absolvieren. Und irgendwann wird Silke spurlos verschwinden, um in Texas einen Saloon zu eröffnen. Kalkulierte Schizophrenie kann befreiend sein.
Ein Versuch, über den Umweg der Albernheit zurück ins Paradies von Schönheit und großem Gefühl zu kommen. bk
Bis 14. November in der GAK/Weserburg
Preisträger von 1999: 10.000 Mark für Christin Lahr/Berlin, 3.000 Mark für Ekkehard Altenburger/Bremen
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