: Ich wollte nie in die Baggerbox
Ein einziges Mal nicht aufgepasst: Wahrheit-Reporter in der Boyzone gefangen
Öde sind meine Tage in der Boyzone, trist und leer. Anfangs machte es mir noch Vergnügen, einfach auf dem riesigen Bett herumzuliegen und – wenn es gar zu langweilig wurde – das eine oder andere der zahlreichen von Sat.1 bereitgelegten Kondome aufzublasen, bis es platzte. Dann schaltete sich nämlich immer der Regisseur über Lautsprecher zu mir ins Zimmer und hatte beachtliche Wutanfälle: Ich sei ein fauler Sack, ich solle jetzt endlich aufstehen, die Girls würden auf mich warten, das Wetter sei prächtig, was ich mir überhaupt denke, ob ich nicht wisse, warum ich hier sei, und außerdem seien die Kondome kein Spielzeug, und er werde irgendwann noch wahnsinnig. Ich wollte nie in die Baggerbox. Diese Videokabinen zur Aufnahme von Balzbotschaften für die Girls im „Girls Camp“ standen vor dem Kino, vor jedem Kino in Deutschland, und es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis irgendjemand hineintappen würde, unbedacht, naiv. Dass das ausgerechnet mir passieren würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Wir hatten alle ziemlich viel getrunken, und, wie das eben so ist, sie hatten mich überredet, gedrängt, irgendwann gab ich nach. Ich saß in der Baggerbox und die Türe war geschlossen, ich saß in der Falle. „Hallo Baggerboy!“, sagte eine Stimme vom Band, „Starte jetzt deine Aufnahme für die Girls im Girls Camp – und wer weiß, vielleicht bist du bald der Boy in der Boyzone.“ Was genau ich dann gesagt oder getan habe, weiß ich nicht mehr. Ich glaube, ich musste rülpsen. Ja genau, ich rülpste, und dann überkam mich – acht Hefeweizen! – ein gewisser Brechreiz und schnell verließ ich die Baggerbox wieder. War das wirklich alles? Ich kann mich nicht erinnern.
Wer konnte da schon ahnen, dass sich niemand dafür bewerben würde, ins „Girls Camp“ einzuziehen? Ich musste der einzige gewesen sein. Kurz darauf war ich plötzlich der „Boy Of The Week“ und sollte einem der Girls ein Love-out anbieten. Oder so.
Der erste Abend war schrecklich. Barbara Schöneberger und Kena Amoa, die Moderatoren, stellten ständig schlüpfrige Fragen, waren mit meinen Antworten nie zufrieden, wussten plötzlich nicht mehr, was sie sagen sollten, stammelten, riefen laut nach der Regie, stammelten wieder und stellten schließlich dieselben Fragen noch mal. Wer denn meine Favoritin sei? Worauf ich so stünde? Wie ich mich denn jetzt fühlen würde als „Boy Of The Week“? Ob „Girls Camp“ nicht eine großartige Sendung sei? So aufregend?
Dann die erste Begegnung mit den Girls. Die Namen konnte ich mir schon vor dem Einzug nicht merken. Die taten auch nichts zur Sache. Wichtig war etwas anderes: Wir sollten eine Art von Begrifferaten spielen. Alle Begriffe ließen sich doppelt deuten: Schwanz, Verkehr, Höhepunkt und so weiter. Verzweifelt bemühte ich mich, die schlüpfrige Bedeutung der einzelnen Wörter zu umgehen. Die Girls jedoch wollten das nicht. Um mich eskalierten die Ereignisse. Eine Rothaarige, die sich mir nicht vorgestellt hatte, saß plötzlich auf meinem Schoß. Sie hatte kaum etwas an. Zwei andere, eine Blonde und eine Schwarzhaarige, versuchten sich gegenseitig in der Disziplin „lautes Stöhnen“ zu übertreffen. Was die anderen taten, habe ich nicht mehr mitbekommen. Fluchtartig verließ ich den Raum. Seither sitze ich in der Boyzone – dort dürfen laut Spielregel keine Frauen hin, die ich nicht eingeladen habe. Und eingeladen habe ich keine. Seit drei Tagen haben sie mir jetzt schon kein Essen mehr gebracht. Der Regisseur ist offenbar sehr sauer, dass ich noch keinem der Girls ein Love-out angeboten habe. „Entweder du kommst jetzt da raus oder du kannst für immer da drin bleiben!“, hat er mich das letzte Mal angebrüllt. Ich überlege noch. STEFAN KUZMANY
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen