Hey, Foto!

Nur die falschen Farben sind die wirklich bunten: Heute eröffnet in Prenzlauer Berg die Lomographische Botschaft

Gestern war mir das noch unangenehm. Irgendjemand meine Kamera ins Gesicht zu schwingen und – hey, Foto! Dieser Augenblick! Schön ist das Leben! Fotografieren fand ich stressig und kompliziert. Seit heute ist das anders: Joachim von der Botschaft hat mir eine Lomo ausgeliehen. Für eine Nacht und einen Tag. Und jetzt hab ich Technik verstanden. Die Lomo hat keine Automatik. Die Automatik liegt im Handgelenk.

Joachim von der Botschaft ist der erste Berliner Diplomat der weltweiten Bewegung rund um die russische Kamera Lomo. Sein Lokal in Prenzlauer Berg ist mit über 5.000 Bildern aus Tokio behängt. Alle grell und schief und abgeschnitten, denn ein Lomograf schaut nie durch den Sucher, sondern fotografiert aus der Hüfte heraus.

Die Lomographische Botschaft eröffnet für Menschen wie mich. Also solche, die sich durch das bunte Schaufenster von der Straße weginteressieren lassen. Reinkommen und fragen. Was ist das Besondere an Lomos? „Bevor du die Bilder abholst, weißt du nie, was drauf ist,“ meint Joachim. „Nachher oft auch nicht.“ Das kann ich mir vorstellen, denke ich, einen Stoß Bilder in der Hand. Ist es also so, frage ich, während Joachim Tee einschenkt, dass das Knipsen im Vordergrund steht? Dass der Moment des Fotografierens wichtiger ist als die Bananenkartons voller Schnappschüsse, die im Laufe eines Lomolebens gehortet werden?

Ja und nein. Ja, weil das fotografieren einfach Spaß macht, weil bei einer Lomo – wegen der simplen Handhabung – „nichts zwischen dir und dem Motiv steht“, weil Lomos sexy sind, weil die verfälschten Farben das Leben bunter machen. Und weil Lomografieren im Kollektiv sowieso das Einzige ist. Lomografen sind Rudeltiere. Nicht zufällig ist die Begeisterung einst in einer Wiener WG ausgebrochen.

Nein, weil sich der Lomograf über jeden Film freut, der ihn überrascht, weil die Bilderflut der sechs bis acht Filme pro Lomowoche auch Perlen anschwemmt. Und nein auch, weil echte Lomografen auch die Nerven haben, die Bananenkartons der anderen zu durchforsten.

In Berlin leben 8.000 dieser echten Lomografen, schätzt Joachim. Die Lomographische Botschaft soll ihr Treffpunkt sein. Von hier aus organisieren Joachim und sein Team Ausstellungen, Lomofeiern oder Lomolandpartien – Busfahrten zur gemeinsamen Momentaufnahme. In der Botschaft können die Spezialisten ihre Filme kaufen – was bei Lomos selbstredend nur heißt: solide, simple und billige Ware.

Joachim macht zwischendurch ein paar Bilder von mir. „Es ist schon so, dass man eine starke Beziehung zu seiner Lomo aufbaut. Man hat sie ja auch immer dabei“, erzählt er. „Wie in einer Partnerschaft verändert sich die Kamera mit der Zeit und passt sich optisch an den Lomografen an. Bei den Bildern hat sie ihren eigenen Kopf. Aber wenn man einmal ganz gerade zum Beispiel ein Gebäude aufnehmen will, macht sie das auch. Sie lässt einen nicht im Stich.“

Nachdem ich das Nachtsichtgerät LomoELF ausprobieren durfte, das mit den Kenntnissen der Rüstungsindustrie entwickelt wurde und zur Eröffnung präsentiert wird, drückt mir Joachim eine Lomo in die Hand. Um verstehen zu können, wie die Kamera „ein integraler Bestandteil des Alltags wird“. Auf der Straße fotografiere ich Hunde und geparkte Fahrräder. Die nächsten zehn Bilder macht mein Mitbewohner. Ich mit Tulpen, ich mit Jogurt, ich mit Knautschgesicht. Morgens stecke ich die Lomo in meine rechte Jackentasche. Mittags ist der Film leer. Sonnenschirme, Frauen, die Kinderwagen schieben, die Bäckerin meines Vertrauens. Nur mein Handgelenk weiß, was ich fotografiert habe. JULIA ENGELMAYER

Heute ab 19 Uhr, Lomografische Botschaft, Husemannstraße 15, Prenzlauer Berg, 23 Uhr: 2. Lomoclubmarathon