Die Drohung im Hintergrund

■ Die Union möchte das Thema Asyl als Wahlkampfjoker bei Bedarf aus der Hinterhand zücken

Die Verständigung über die Aufnahme einer anzustrebenden „Grundgesetzergänzung“ in die gemeinsame Wahlplattform von CDU / CSU will CDU–Sprecher Merschmeier nicht so verstanden wissen, daß die Asylfrage damit im Wahlkampf in den Vordergrund gerückt wird. Doch das es als Thema präsent bleibt, dafür sorgt schon die bayerische Schwesterpartei, die die BRD am liebsten flüchtlingsfrei sähe.

Was lange gärt, wird, so mag sich CDU–Generalsekretär Heiner Geißler gedacht haben, selten gut. „Man kann nich sechs Monate lang über Asylrecht und Asylbewerber reden, ohne ganz ungute Assoziationen zu erzeugen“, teilte er deshalb letzte Woche den Hörern von Radio Luxmburg mit und sprach sich damit dagegen aus, das Asylrecht zum Wahlkampfthema zu machen. Der Koalitionsstreit zwischen CDU und CSU um dieses Thema war voll im Gange: Während die konservativen Bayern mit dem Thema auf Wählerfang gehen wollen, schien die CDU moderater und eher bemüht, ein liberales, modernes Image zu erhalten. Jetzt sind sich die beiden mäßig zerstrittenen Partner einig geworden. Der Kompromiß: Im gemeinsamen Wahlprogramm der CDU/CSU wird angekündigt, den Grundgesetzartikel, der das Asylrecht garantiert, ändern zu wollen: „Wir wollen den Artikel 16 ergänzen durch einen Gesetzesvorbehalt, der ein Ausführungsgesetz ermöglicht, das die Wahrnehmung des Asylrechts auf die wirklich politisch Verfolgten beschränkt.“ Bisher hatte Bundeskanzler Kohl, zuletzt auf einem Kongreß seiner Partei am 24. August in Neumünster betont, er wolle zunächst alle Möglichkeiten unterhalb eines Eingriffs in die Verfassung ausschöpfen. Die Lage sei zwar „dramatisch“ und man dürfe den weiteren „Zustrom“ auf gar keinen Fall „weiter tatenlos hinnehmen“ - fürs erste schienen ihm aber die zwei Tage später bekanntgegebenen Vorschläge der interministeriellen Arbeitsgruppe, die vor allem die Einreise für Flüchtlinge erschweren werden, auszureichen. Mit diesen „Maßnahmen zur Eindämmung des unkontrollierten Zugangs von Asylbewerbern“ gehe man, so der Kanzler vor der Bundespressekonferenz, „an die Grenze desjenigen, was bei der geltenden Verfassungslage möglich ist“. Jetzt folgt der Schritt darüber hinaus...der aber, glaubt man CDU–Sprecher Merschmeier, nur ein kleiner sein soll. Merschmeier legt -sicher auch um den vorangegangenen Streit zu relativieren - großen Wert darauf, daß im jetzt bekanntgewordenen Wahlprogramm nicht etwa eine „Grundgesetz–änderung“ sondern lediglich eine „Grundgesetzergänzung“ als Zielvorgabe angekündigt werde. Das Asylrecht „als solches“ wolle man gar nicht antasten, nur sein Mißbrauch solle verhindert werden. Auch Heiner Geißlers Warnung vor einem Wahlkampf mit dem Thema „Asylrecht“ werde durch dieses Wahlprogramm Rechnung getragen: „Nicht alles, was wir ins Wahlprogramm schreiben, wird deswegen auch gleich bestimmendes Wahlkampfthema.“ Seine Partei werde - wie bisher - so differenziert argumentieren, daß für ausländerfeindliche Interpretationen kein Platz bleibe– und daß die BRD kein Einwanderungsland sei, sei ohnehin unstrittig. Ähnlich sieht es auch der Leiter der Planungsabteilung im Konrad Adenauer Haus, der Geißler–Mitarbeiter Schönbohm, der zusätzlich noch betont, die Aufnahme dieses Punktes in Wahlprogramm sei quasi zwangsläufig erfolgt: „Das ist eben in der Diskussion, das beschäftigt die Leute. Da können wir nicht den Mantel des Schweigens darüber ausbreiten und das Asylrecht als Thema einfach weglassen.“ Zusammen mit Bundeskanzler Kohls Drohung am Wochenende, wenn bei der Sitzung der Länderchefs am 25. September keine Einigung erfolge, müsse das Thema „Asyl“ verstärkt öffentlich diskutiert werden, klingt das so, als wolle sich die CDU einen Wahlkampf–Joker bereit halten. Einzusetzen wäre er als Druckmittel gegen SPD und FDP, gegebenenfalls aber auch um fehlende Prozente nachzuladen oder die öffentliche Diskus sion von anderen Feldern wegzulenken. Die Resonanz könnte groß ausfallen. Nach einer Umfrage des BielefelderEmnid–Instituts im Auftrag des Spiegel finden 72 Prozent der Bundesbürger, daß das Asylrecht in der Praxis „zu großzügig“ gehandhabt wird. Und die skeptischen 28 Prozent will beispielsweise die Arbeitsgruppe „Inneres, Sport und Umwelt“ der Unionsfraktion mit einem Hinweis auf die bundesdeutsche Rechtssprechung und die daraus herzuleitenden „Gefahren“ überzeugen: Nach der Rechtssprechung, so ein Arbeitsgruppenpapier, gäbe es „mögliche Asylberechtigte Afrikaner und Asiaten in der Größenordnung von 50 Mio“. Die Auseinandersetzung soll auch in die SPD getragen werden. Die Sitzung der Ministerpräsidenten der Länder wird dazu ein erster Schritt sein. Wohin der führen kann, verdeutlicht der Geißler–Mitarbeiter Schönbohm: Eine Grundgesetzänderung ist seiner Meinung nach auf Dauer keineswegs unrealistisch. Schließlich stehe die SPD auf kommunaler Ebene - „und da drängt das Problem am meisten“– vielerorts in der Verantwortung: „Die sozialdemokratischen Oberbürgermeister und Landräte haben deshalb meistens eine sehr realistische Einschätzung der Lage.“ Oliver Tolmein