: „Hohe Leistung - starker Friede“
■ Die diesjährige Leipziger Messe fällt in eine schwierige Phase des innerdeutschen Handels
Der Ölpreisverfall in den letzten Monaten hat in die Kassen des DDR–Außenhandels tiefe Löcher gerissen. Entsprechend dünn sind die Aufträge, die bundesdeutsche Firmen sich während der Messe an Land ziehen können. Wenn überhaupt, gibts nur Ware gegen Ware. Für den normalen Messebesucher ist davon jedoch kaum etwas zu spüren. DDR–Besucher klagen dagegen über fehlende Prospekte der Weltaussteller. Noch nicht mal ein Mercedes auf Hochglanzpapier ist mehr zu haben.
Wenns um Millionen–Geschäfte geht, ist die deutsche Industrie felxibel. Mühelos hat sie sich dem Sprachgebrauch der DDR angepaßt und auf ihren Ausstellungswänden statt aggressivem Marketing mit Sex und flotten Sprüchen die nüchternen Adjektiv–Reihen der sozialistischen Länder übernommen. Im Gift–Pavillon präsentiert sich BASF brav als „innovativ, leistungsstark und kooperativ“ und Hoechst will - voll auf Fünf–Jahres–Plan–Kurs - ganz schlicht „die Produktionskapazität erhöhen“. Fehlt eigentlich nur noch der Zusatz „und den Frieden sichern“ und das obligatorische Bild vom großen Genossen bei warmen Händedruck mit Gorbi. Alle großen Chemie–Multies der BRD sind auf der Leipziger Messe vertreten, und sie sind in illustrer Gesellschaft: Eingerahmt von den deutschen Konkurrenten darf auch der US–Konzern „Union Carbide“ in der weltoffenen Messemetropole für seine erprobte Spitzentechnologie werben. Auf Schautafeln und Werbe–Vitrinen hat die Todesfirma von Bhopal dezenterweise verzichtet (oder verzichten müssen?). Auch ihre Firmenvertreter sind nicht in Sicht, sie sitzen - diskret, vertraulich, abgeschirmt - in den Verhandlungsräumen und versuchen die bedauerlichen Verluste ihres indischen Engagements durch neue Geschäfte vergessen zu machen. Einen Steinwurf von „Union Carbide“ entfernt, vervollständigt das in Seveso zu internationalem Ruf gekommene Unternehmen „Monteedison“ das chemische Grusel–Kabinett. Aber auch die einheimische Chemie–Industrie ist in dieser „Welt raffinierter Spitzentechnologie, in der selbst die Moleküle maßgeschneidert sind“, in Leipzig präsent. Das Chemie–Kombinat Bitterfeld stellt einen neuen Reifungsbeschleuniger für Obst und Gemüse vor. „Flordimex“ heißt die Zauberformel und ein Riesen–Oschi von Zucchini verdeutlicht, wohin die Reise gehen soll. Schnell reifende, großgewachsene, geschönte Ware, glänzend oder seidenmatt, auf jeden Fall prall und rund. Während die kapitalistischen Chemiekonzerne den Umweltgedanken zumindest auf der verbalen Ebene integriert haben, kommt er bei den DDR–Kombinaten allenfalls auf dem Kleingedruckten bei der Gebrauchsanweisung des neuen Reifebeschleunigers vor: Während des Arbeitens mit „Flordimex“ solle man „nicht essen, trinken, rauchen“ und „bei Hautkontakt Verätzungen durch Wasserspülung entgegenwirken“. Ansonsten heißt die Parole aus der Chemiestadt Bitter feld, der dreckigsten Stadt der DDR: „Mit dem Elan unserer Werktätigen (...) für ein besseres Leben in Frieden“. Die eigentümliche Proportionalität von Produktionssteigerung und Friedenssicherung ist überall auf der Leipziger Messe und auch auf den großen Spruchtafeln in der Leipziger Innenstadt zu beobachten. Mitten im Stadtzentrum, wo die in Eisen gegossene Denkerstirn von Karl Marx respektlos von den Stadttauben beschissen wird, heißt es kurz und bündig: „Hohe Leistung - starker Friede“. Rackern für den Frieden ist angesagt: „So stärken wir mit unserer Arbeit die materielle Grundlage sozialistischer Friedenspolitik“, lautet das Motto in Halle Eins. Brüderliche Kooperation Ähnlich massiv wie diese direkte Verbindung zwischen Arbeit und Frieden drängt nur noch der ständige Hinweis auf die enge zuweilen auch brüderliche Kooperation der DDR mit dem großen Bruder ins Bewußtsein. In nahezu allen Hallen der 6.000 Aussteller hängt im Zweimeter–Format die große Szene des XI. Parteitags: Der sowjetische Parteichef beglückwünscht Erich Honnecker mit väterlichem Wohlwollen. Mit treuem Dackelblick, aber nicht ohne Stolz blickt der DDR– Staatschef Gorbatschow an. Wechselweise sind epochale Aussagen der beiden in diese Großformate einmontiert: „Jetzt ist die Zeit herangereift, um die gesamte chemische Industrie mit der Veredelung zu durchdringen - E. Honnecker“. Atmosphärisch dominiert in den Ausstelungshallen dieselbe Nüchternheit, die auch die Messen in Deutschland–West so langweilig macht, der Charme der rauchenden Schornsteine, die Ästhetik labyrinthischer Großanlagen. Durchbrochen wird die spröde industrielle Sachlichkeit, zu der die Kofferträger im noblen Tuch so gut passen, vor allem im sowjetischen Pavillon, der sinnlichsten aller Ausstellungshallen. Hier stößt man endlich auf all jenen Schnickschnack, der die Messe für die vielen „kleinen“ Besucher attraktiv macht. Schon von außen setzt sich dieser monumentale, streng symmetrische Bau mit Leninbüste und rotem Stern auf goldenem Dach von den übrigen Hallen ab. Briefmarken in 3–D, die große „Messeneuheit“, werden am Eingang verkauft, und in diesem riesenhaften russischen Tempel geht es dann munter weiter mit turkmenischer Polka, zottligen Pelzmützen und Kosaken–Stiefeln, einem kleinen (ausgestopften) Zoo, Teppichschau und Prachtbänden der Malerei, Kicker und Telespiele mit echt westlichen Piepstönen und Raketen–Cockpits für die Kids. Auf den Bildwänden reckt der durch die Arbeit veredelte, schön gewachsene, behelmte Blondie die Faust zum Arbeitergruß. Daneben, ebenfalls im Großportrait, der in seine Gedankenwelt versunkene Wissenschaftler, die Hand an der Stirn vor einer verwischten Tafel mit mathematischen Formeln. Hammer und Zirkel, Theorie und Praxis, Wissenschaft und Produktion sind auf diesen Bildwänden zusammen mit Blümchenkindern, Naturschönheiten und Folklorelook zu einem bunten sowjetischen Mosaik verwoben. Auf der zweiten Wand könnte die Offenbacher KWU Regie geführt haben. Die Schaltzentrale eines Atomkraftwerks, daneben grast eine Schafherde in friedlicher Beschaulichkeit. Immerhin: einen Messestand, der die Sicherheit und Kühnheit sowjetischer Kraftwerkstechnik preist, konten wir nicht entdecken. Als wärs die KWU Größter Anziehungspunkt der Besucher, und vor allem das Lieblingskind aller westdeutschen Messe–Beobachter im großen Journalisten–Troß sind die Kfz– Ausstellungen. Bei diesen Auto– Peepshows läßt sich nämlich ähnlich platt wie die DDR–Nasen an den Auto–Scheiben die Überlegenheit des „Freien Westens“ gegenüber den sozialistischen Ländern darstellen. Die leuchtenden Augen des DDR–Arbeiters vor der Mercedes–Limousine und sein Stoßseufzer: „Es wird immer ein Traum bleiben...“ Menschentrauben um den gläsernen 500 PS starken „Super–Twin–Golf“ aus Wolfsburg, mitleidige Blicke auf den „Wartburg–Ralley“, da lächelt der ZDF–Reporter und schlendert zufrieden weiter, vorbei an der Panzer–Firma Steyr, die in Leipzig - ganz zivil - ihre leistungsstarken LKW vorzeigt. Die Besucher dieser Leipziger Messe unterscheiden sich nur wenig von Otto Normal (West). Bier und Bockwurst, Briefmarkenstände mit Messestempel, Hauptinteresse Auto, der Messebummel ohne ausgeprägtes Interesse. Die Technik wird noch einen Schuß unkritischer konsumiert, der Westen nach wie vor als Heilsbringer mystifiziert. Das reicht bis zur leeren Coca–Cola–Dose, die unser Quartiergeber wie ein Schmuckstück ausgestellt hat und seinen West–Besuchern präsentiert.Nach solchen Schocks tröstet die historische Leipziger Innenstadt ein wenig und die glaubwürdige Versicherung einer Messebesucherin aus Jena über die in der DDR stark gewachsene Sensibilität für eine behutsame Stadtsanierung und die Bausünden der 60er. Manfred Kriener
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen