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„Nur ein paar Gedichte und ein paar Slogans“

■ Zehn Jahre nach Maos Tod verblaßt bei Chinas Jugend zunehmend die Erinnerung an den „Großen Steuermann“ Vorsichtige Kritik ist erlaubt, aber die Demokratisierung kommt nicht voran / Neue Probleme durch Wirtschaftsreformen

Von Daniel Southerland

Peking (wps)– Zehn Jahre nach dem Tod von Mao Ze–Dong wird seine einbalsamierte Leiche immer noch im Zentrum von Peking ausgestellt. Doch das Erbe des „Großen Steuermannes“ scheint für keine der neueren Entwicklungen in China mehr entscheidend zu sein. Für viele Chinesen ist die Mao–Mumie zum Ausflugsziel und zur touristischen Attraktion geworden, doch nur wenige unter den Tausenden, die täglich in die mit Marmor und Granit ausgeschlagene „Halle zur Erinnerung an den Vorsitzenden Mao“ strömen, zeigen irgendeine Gefühlsregung beim Anblick des Führers, der einst wie ein Gott verehrt wurde. „Wenn Mao nicht diese Geschichte mit der Kulturrevolution angefangen hätte, ginge es uns heute erheblich besser“, sagt stattdessen ein Mann beim Verlassen des Mausoleums. An die Jahre zwischen 1966 und 1976 erinnert er sich nur mit Grausen. Eine ganze Reihe chinesischer Intellektueller, die früher nicht gewagt hätten, auch nur ein einziges negatives Wort über Mao fallen zu lassen, sprechen jetzt ganz offen von „dem alten Mann, der keine Ahnung von Wirtschaft hatte, die Modernisierung des Landes verhinderte und Intellektuelle verfolgen ließ, um seine schwindende Macht zu festigen“. Fragt man gebildete Chinesen, was die bedeutendste Veränderung der letzten zehn Jahre gewesen sei, so antworten die meisten, daß man weniger Angst haben müsse als früher. „Wenn Mao noch leben würde, könnten Sie mich nicht zu Hause besuchen“, sagt ein Wissenschaftler, der einige Ausländer zum Essen eingeladen hat. „Heute kann ich mich über hohe Preise und alles mögliche andere beschweren“, erklärt ein Lektor der Wirtschaftswissenschaften an der Universität. Die Angst ist noch nicht verschwunden Doch sowohl der Lektor als auch der Wissenschaftler bitten darum, daß ihre Namen nicht genannt werden, die Angst ist noch nicht ganz verschwunden. Noch immer zögern viele Chinesen, sich mit Ausländern zu treffen, wenn sie keinen offiziellen Auftrag haben. Es gibt Grenzen der Kritik. Wie es ein Chinese umriß: „Man kann vielleicht den Führer seiner Arbeitseinheit anklagen, aber nicht die Führer des Landes“. Trotz neuer Vorschläge zur Demokratisierung der Politik werden die wichtigsten Entscheidungen nach wie vor von einer kleinen Gruppe an der Spitze der KP getroffen. Die Kampagne gegen Korruption und Bürokratismus in der Partei läuft seit drei Jahren auf Hochtouren, immer noch widersetzen sich Parteikader der Begrenzung ihrer Macht und ihrer Privilegien. Obschon eine Reform des Arbeitsrechts sowohl Arbeitern als auch Betriebsleitern mehr Spielraum bei der Auswahl und Besetzung von Arbeitsplätzen gewähren soll, hat die Partei in dieser Frage bislang das letzte Wort. Als einer der führenden Vertreter der Protestbewegung Pekinger Frühling, der zu 15 Jahren verurteilte Xu Wenli, vom Gefängnis aus eine 262 Seiten starke Schrift über seinen Prozeß veröffentlichte, wurde er sofort isoliert. Wie seine Familie pünktlich zum Mao–Gedenktag über die Nachrichtenagentur afp mitteilte, darf er seit einem Jahr keinerlei Besuch empfangen (s.u.). Fehler und Verdienste Die offizielle Haltung zu Mao wurde 1981 von Deng Xiaoping und anderen KP–Führern dargelegt. Dieser Resolution zufolge überwiegen die positiven Leistungen des „großen und unersetzlichen Führes der Revolution“ bei weitem seine Irrtümer, aber während der Kulturrevolution und des Großen Sprungs nach vorn 1958 wurden schwere Fehler gemacht. Während Maos Protrait wie für ewige Zeiten im Zentrum von Peking prangt, hat Deng Xiaoping ihn vorsichtig entmystifiziert. Die Führung muß vorsichtig sein, denn wenn sie die Erinnerung an Mao völlig zerstört, würden auch unerwünschte Fragen über die Legitimität der KP–Herrschaft aufkommen. So beläßt man bestimmte Teile der Armee und auch einige Kader in den unteren und mittleren Rängen, die sich von der auf Wettbewerb und Leistung ge trimmten Wirtschaftsreform bedroht fühlen, in ihrer nostalgischen Mao–Orientierung. Doch vor allem unter den Jugendlichen in den Städten schwindet die Erinnerung an die alte Zeit schnell. Nicht nur in Fragen der Kleidung ist Maos Einheitslook out und Vielfalt angesagt. Im Wirtschaftsbereich findet eine regelrechte ordnungspolitische Debatte statt. So setzt sich Professor Li Yining seit einiger Zeit vehement für eine Ausweitung der Firmen in Aktienbesitz ein, eine Idee, die ihn während der Mao–Ära unweigerlich in den Knast gebracht hätte. Daneben hat Deng erste Schritte unternommen, die Willkürherrschaft zu beseitigen. Ein neues Rechtsystem soll die Rechte der Bürger stärken, die alten Straßenkomitees haben ihre Überwachungsfunktionen weitgehend eingebüßt. Doch noch immer ist die Geheimplizei mächtig, und wie viele chinesische Führer vor ihm hat Deng die Reformen vor allem aufgrund seines persönlichen Prestiges durchgesetzt. Ein Fortschritt immerhin ist die Abkehr vom Personenkult: War China einst mit Mao–Portraits gepflastert, findet man heute kaum Bilder von Deng Xiao ping. Doch der schwierigste Teil der Reform liegt noch vor Deng: Für Fragen der Preis– und Lohnpolitik, der Staatsfinanzen und der Arbeitsverträge bieten weder Marx noch Mao brauchbare Lösungen an. Die neue Wirtschaftspolitik hat zwar alte Probleme beseitigt, aber bereits neue geschaffen, wie z.B. steigende Jugendkriminalität, eine allgemeine Inflation der Erwartungen, skrupellose Händler. Was hält die neue Generation von Maos Ideen? „Wenn es um Mao geht, fallen meinen Kindern nur ein Paar Slogans ein“, meint ein Vater, dessen Kinder 10 und 13 Jahre alt sind.“ Mein Sohn kennt nur ein paar Gedichte“, pflichtet ihm ein anderer Intellektueller mit einem Kind im Teenageralter bei.

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