piwik no script img

Ärger über die Grünen

■ Die DDR–Friedensbewegung wirft den Bundestagsgrünen Sozialdemokratismus und Unkenntnis vor

Aus Ostberlin Siegfried Marot

Wen immer man in diesen Tagen aus der unabhängigen Friedensbewegung der DDR fragt, die Meinung ist einhellig: Der DDR–Auftritt der Bundestagsgrünen von letzter Woche kam einem Verrat an den Basisbewegungen in der DDR gleich. „Ihr Verhalten war ein Abklatsch sozialdemokraticher Politik.“ „Wie es Brandt im Frühjahr nicht für nötig hielt, sich während seines Treffens mit Jaruzelski auch einmal mit Walesa zu treffen, so nehmen Uli Fischer und Antje Vollmer unsere Aktivitäten nicht mehr ernst und lassen sich lieber von Politbüromitglied Hermann Axen hofieren. Dem überreichen sie Geschenke, für uns fiel dagegen nicht ein einziges Buch ab, das im Diplomatenkoffer wahrlich Platz gefunden hätte“, bemerkte P., ein Maler, der nur durch einen Zufall erfahren hatte, daß die Grünen die Kirchengemeinde des engagierten Pfarrers Eppelmann besuchen wollten. Eppelmann, der sich in der Vergangenheit durch Petitionen an die DDR–Führung, in denen er eine Demokratisierung der Gesellschaft und das Recht auf größere Reisefreizügigkeit forderte, einen Namen gemacht hat, hatte erst kurz vorhervon dem beabsichtigten Besuch bei ihm erfahren. Aus diesem Grunde konnte er kaum eine größere Anzahl von Friedens– und Umweltaktivisten mobilisieren, die mit den bundesdeutschen Parlamentariern ihre Probleme diskutiert hätten. „Annegret Borgmann und Henning Schierholz haben es nicht einmal für nötig befunden, bei uns Informationen einzuholen. Zum ersten Mal unterbreiteten sie Honecker keine Liste von politischen Gefangenen, angeblich, weil sie keine Namen kannten. Hätten sie einen von uns gefragt, unzählige Namen hätte man ihnen sofort gegeben“, erzählt P. verbissen. Die meisten Anwesenden in Eppelmanns Kirche waren enttäuscht, wie wenig Kenntnisse über die politischen Zustände in der DDR die Grünen mitbrachten. Axen hatte die Grünen gefragt, warum sie denn unbedingt „diese fünf bis sieben Prozent besuchen wollten, die das System immer noch kippen wollen“. Die DDR– ler fragten die Grünen daraufhin, ob sie Axen daraufhin gefragt hätten, wie es sieben Prozent SED– feindliche Kräfte in der Bevölkerung geben könne, wenn bei Volkskammerwahlen angeblich 99,8 Prozent der Gesamtbevölkerung SED wählen. Die Antwort der westdeutschen Parlamentarier: Dieser Widerspruch sei ihnen nicht aufgefallen.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen